„Hübsche Seite haben Sie da. Wäre doch schade, wenn der etwas passieren würde.“ „Wie meinen?“ „Naja, die Dinge können kaputtgehen. Alle Dinge, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ „Nein, ich weiß gerade nicht, woraus Sie hinaus wollen.“ „Also ich meine die Sachen, die Sie da so schreiben für Ihre Seite.“ „Was ist denn mit denen?“ „Ich meinte nur, was wäre, wenn die keiner mehr lesen würde?“ „Das verstehe ich irgendwie nicht.“ „Meine Güte, zahlen Sie endlich!“
„Wie reden Sie eigentlich mit mir!?“ „Das muss mir so rausgerutscht sein.“ „Und was wollen Sie von mir? Wofür soll ich denn zahlen?“ „Sie kennen das Geschäftsmodell doch. Sie dürfen Ihre eigenen Texte auf Ihre eigene Seite hochladen, und wir verlangen dafür lediglich eine kleine Gebühr. Als Anerkennung sozusagen.“ „Anerkennung? wofür denn eine Anerkennung?“ „Dass wir Sie Ihre eigenen Texte veröffentlichen lassen.“ „Aber das sind doch meine eigenen Texte, mit denen kann ich machen, was ich will.“ „So kommen wir nicht weiter.“ „Es sind doch aber meine!“ „Da haben Sie recht, nur: können Sie das beweisen?“ „Wozu muss ich das denn beweisen können? es reicht doch, wenn jemand anderer nicht beweisen kann, dass es nicht seine sind.“ „Naja, Sie müssen das aber auch beweisen können. Dass es nicht nicht Ihre sind.“ „Was soll denn der Blödsinn?“ „Gleiches Recht für alle. Sehen Sie es mal positiv, wir verkaufen Ihnen damit ein Stück Rechtssicherheit.“
„Das ist doch absurd!“ „Schauen Sie, wir haben die Gesetze nicht gemacht.“ „Aber wenn ich das richtig verstehe, dann verdienen Sie an denen.“ „Das ist grundsätzlich erst mal nicht verkehrt.“ „Und warum verdienen Sie dann an diesen Gesetzen, wenn Sie selbst einsehen, dass das…“ „Moment mal, wir haben diese Gesetze nicht gemacht, klar?“ „Aber Sie nutzen Sie aus!“ „Das ist etwas ganz anderes. Schon in rechtlicher Hinsicht.“ „Aber Erpressung bleibt Erpressung.“ „Das ist auch vom Grundsatz her erst mal nicht gänzlich falsch, Sie müssen aber bedenken, dass es sich hier natürlich nicht um Erpressung handelt.“ „Was soll das denn sonst sein?“ „Sehen Sie uns als eine Art Rechtsberater.“ „Rechtsberater?“ „Genau. Wir sind für Sie in dem Sinne tätig, dass wir Ihnen nur das zur Verfügung stellen, was Ihnen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist. Was wir Ihnen nicht gestatten, würde auch kein Gesetz zulassen.“ „Entschuldigen Sie mal, jetzt wird es aber wirklich langsam ein bisschen absurd, finden Sie nicht?“ „Sie müssen sich ja nicht darauf einlassen.“ „Und dann?“ „Dann sind Sie mit den Folgen Ihres Handelns in rechtlicher Hinsicht eben auf sich gestellt. Wir helfen Ihnen dann nämlich nicht mehr, jedenfalls nicht ungefragt. Und natürlich auch nicht mehr im Rahmen der bisherigen Kostenmodelle.“
„Also ich nenne das Zensur.“ „Bitte sehr.“ „Jawohl, Zensur!“ „Bitte, Sie dürfen das jederzeit so nennen. Wir sind ein freies Land, wir bewegen uns innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit, und wenn Wir durch etwas eingeschränkt sein sollten, dann höchstens durch den rechtlichen Rahmen der Europäischen Union.“ „Was hat denn die EU mit Meinungsfreiheit zu tun?“ „Ach, nicht viel.“ „Und wenn ich meine Meinung veröffentliche in meinen eigenen Texten, dann erwarte ich von dieser EU jedenfalls Unterstützung.“ „Sehen Sie, und genau da kommen wir ins Spiel.“ „Sie betrachten sich als Instrument der EU?“ „Wir sehen uns als Instrument der Meinungsfreiheit.“ „Unserer Meinungsfreiheit?“ „Ja, es geht hier um unsere Meinung.“ „Also um Ihre, richtig?“ „Das ist doch dasselbe. Lassen Sie uns jetzt nicht über Begriffe streiten, das führt zu weit.“ „Ich habe eher den Eindruck, es geht jetzt erst richtig los.“
„Haben Sie nicht den Eindruck, dass wir uns kompetent um Ihre Rechte kümmern?“ „Warum müssen Sie sich überhaupt um unsere Rechte kümmern?“ „Sonst tut es doch niemand.“ „Sie verstehen das falsch, ich meine: warum muss sich überhaupt jemand um meine Rechte kümmern?“ „Dazu sind doch Rechte da, oder?“ „Ich dachte, sie seien dazu da, dass man sie wahrnimmt.“ „Das auch, aber die Frage ist doch: wer tut das für Sie?“ „Warum tun wir das nicht selbst?“ „Weil das eine enorm komplexe Materie ist, mit der Sie sicherlich überfordert wären. Dann ist es doch besser, Sie lassen gleich uns das erledigen.“ „Das meinen Sie ernst?“ „Selbstverständlich, wir betreiben das professionell.“ „Für Geld?“ „Das auch. Aber vor allem haben wir dieses Geschäftsmodell, ich will nicht sagen: erfunden, aber wir haben es erfolgreich an diesen Bereich angepasst.“ „Und Sie leben ganz gut davon.“ „Schließlich lassen wir Sie ja auch an unserem Erfolg teilhaben, oder?“ „Sie vergessen allerdings eines: Sie brauchen uns.“ „Ach was.“ „Wenn wir nicht unsere Seite hätten und unsere eigenen Texte, dann…“ „Na, da bin ich ja noch mal erleichtert.“ „Wieso?“ „Das zeigt, dass Sie unser Geschäftsmodell doch noch nicht ganz verstanden haben. Und genau deshalb brauchen Sie uns auch weiterhin als Partner.“ „Wieso haben wir das nicht verstanden?“ „Sie haben die rechtliche Situation nicht verstanden, insbesondere nicht die Folgen.“ „Wieso haben wir die rechtliche Situation nicht verstanden? Handelt es sich jetzt nicht mehr um unsere eigenen Texte?“ „Ach was, überhaupt nicht. Sehen Sie, das ist doch gerade der Punkt: Sie als Rechtssubjekt kommen doch in diesen Gesetzen überhaupt nicht vor. Oder was haben Sie erwartet von der Europäischen Union?“
Satzspiegel