
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Im Mittelalter war die Organisation noch verhältnismäßig schlicht. Einen Teil des Tages hockte der Fleischer, Grob- oder Hufschmied in der Werkstatt, in der restlichen Zeit erklärte er den Bereich einfach zur Wohn-, Schlaf- und Kranken-, Koch-, Wasch- und Lagerräumlichkeit. Hei, was jubilierte da der Sozialismus – kaum aus den Federn, schon konnte der Töpfer in den Ton greifen und die Volkswirtschaft ankurbeln. Kein Stau auf der Gasse zwischen Domplatz und Misthaufen, keine überteuerten Mieten in der City, weil die Patrizier ihren Grund und Boden um harte Taler an die Steuerberatungsgesellschaften zur Pacht gaben, um fünfstöckige Protzbauten aufzustellen mit Büros in bester Lage, groß genug, dass man sich darin um die eigene Achse drehen konnte. Zwischendurch sah man dem Nachwuchs beim Ableben zu, machte zum Ausgleich in der Mittagspause neuen, ließ die Milch sauer werden und führte auch ansonsten ein gottgefälliges Leben. So jedenfalls stand es in der Gebrauchsanweisung der Gesellschaft. Wie gut, dass noch keiner von ihnen das Homeoffice genannt hat.
In der schnöden neuen Welt hängt uns die Möhre vor der Nase: nehmt Euch einfach die Arbeit mit nach Hause, dann kommt der Berg auch zum Propheten, und natürlich sind es wieder die halb sozialistischen Kräfte, die den Rückfall in die Vorwelt als Fortschritt verkaufen will. Da freut’s die Chirurgieschwester und sie jubelt, weil sie sich am Feierabend fürs Wochenende noch mal schnell zwei Patienten in den Kofferraum packen darf, der Chefarzt hat’s abgesegnet. Der Anlagenmechaniker überlegt nicht lang, er sitzt mit Zange und Hanf auf dem Sofa und schraubt Heizungsrohre. Wie genau er den Schmodder in den Flughafenneubau in die Pampa Brandenburgs verlasten soll, hat ihm der Bundesminister für Selbstdarstellung und Arbeit nicht verraten. Aber es ist ja bald Wahlkampf, und da können wir jeden so behandeln, als sei er ein strategischer Einkäufer im Tapetengroßhandel, Eigenheim und Zweitwagen, Schrebergarten, aus.
Allenthalben quarrt die Politik nun nach der quasimessianischen Komplettlösung einschließlich Masern und Feiertag, denn sonntags, grinst der spätkapitalistische Sklavenhalter, gehört Eure Mutti mir. Spätestens wenn die Firma die zuschlagfreie Nachtschicht in der Lohnbuchhaltung als Wellness verkauft, hat sich die Rechtslage leicht nach rechts gelegt, mit der Ausweitung der Arbeitskampfzone auf das Gästeklo gehen dann auch die Betriebsräte sang- sowie klanglos unter, weil es sie nicht mehr geben wird. Allein deren Wahl dürfte zur Monty-Python-Nummer verkommen, weil im ausgeweiteten Teilzeitsyndrom kein Mensch mehr den Kollegen über den Weg gelaufen ist. Vielleicht erkennt er deren sinkende Lider noch über das zwangsangeschaffte Bildtelefon, mit dem nun regelmäßig der Zuchtmeister das Wohlbefinden der Truppe kontrolliert. Aber Zusammenhalt schafft das nicht. Und so war es auch gedacht.
Es ist vielmehr Kontrolle an der langen Leine, die uns verborgen bleibt, denn was dort rechtlich zusammengeschwiemelt wurde, ist nicht mehr als die mit Bausparerabitur und Paketband hastig in Form gequetschte Kostenkontrolle für manchen Unternehmer, der nun keine Büros mehr zahlen muss, keine Fahrtkostenzuschüsse, keine sanitären Anlagen und keine Mitarbeiterküche. Arbeitszeiten lassen sich leichter durchdrücken, das Ausloggen am Firmenlaptop zwecks Gang in die Keramik wird fluffig von der Sollzeit subtrahiert, und in naher Zukunft wird die Fachkraft für Arbeitssicherheit die Nasszellen kontrollieren und Arbeitsunfälle im Vorfeld verhindern, weil auch hier das Private rein politisch wird. Mit dem Homeoffice reißt der Arbeitnehmer (m/w/d) sämtliche Mauern seines Hauses nieder und macht aus der Bude eine Panoptikum, das Foucault die Schuhe ausgezogen hätte. Vermutlich werden bald die ersten Drohnen – die Anschaffung zum vorgeschlagenen Preis ist freiwillig, Zuwiderhandlungen führen jedoch zum Verlust des Arbeitsvertrages – zwischen Küche und Kinderzimmer surren, um die zwischenmenschliche Nähe zu suggerieren, weil der Boss sich immer mal wieder meldet. Meistens, wenn die Blagen krank sind und Vati deshalb nicht von seinem Recht auf Kinderbetreuung Gebrauch machen muss. Es wird keinen Absentismus mehr geben, und wer ein bissel hustet, kann sich gerne von der Couch aus mit dem neuen Finanzkonzept befassen, statt die Abteilung M&A mit seinem Rotz anzuschmieren. Sie lieben doch alle, alle Menschen.
Im Mittelalter wurde der Besuch von Nachbarn und Verwandten nebenbei erledigt, und wenn es hart war, ließ der Schneider die Gesellen schon mal ein Stündchen länger an der Hosennaht zurren, weil sie ohnehin unter der Werkbank pennten. Die Arbeitsbelastung stieg kontinuierlich, an Schlaf war nicht zu denken, aber das war für die Zeitgenossen kein Problem. Schlafen konnten sie, wenn sie tot waren. Als Arbeitszeitmodell für die digitale Gesellschaft eine verlockende Vorstellung, die der Deutsche schnell verinnerlichen wird. Es sei denn, das Internet bleibt so mittelalterlich, wie es ist.
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