Doppelter Widerspruch

3 04 2019

„Rollen Sie ihn rein. Immer reinrollen, im Krankenhaus ist kein Platz, aber hier haben wir was frei. Solange sie noch warm sind, heißt das.

Wenn er den Zettel nicht dabei hat, wird’s natürlich kompliziert, aber wir finden immer eine Lösung für jedes Problem, das wir nicht erkennen – lustig, so funktioniert ja fast alles in der deutschen Gesundheitspolitik, nicht nur im Krankenhaus. Also der Zettel. Nicht der am Zeh, den kriegen Sie erst, wenn Sie den anderen Ausgang nehmen, den Fahrstuhl nach unten. Diesen hier. Da steht normalerweise drauf, ob Sie einen Spenderausweis haben. Wenn Sie einen haben, ist die Sache klar, dann sind Sie Organspender. Wenn Sie keinen Ausweis haben, dann ist klar, Sie sind Organspender, weil Sie keinen Ausweis haben, auf dem klar niedergelegt ist, dass Sie keine Organe spenden wollen. Und wenn Sie keinen Ausweis haben, dann haben Sie auch keinen Ausweis, auf dem klar niedergelegt ist, dass Sie keine Organe spenden wollen. Das ist zwar in doppelter Hinsicht und auch noch in sich total widersprüchlich, aber genau deshalb heißt es ja auch doppelte Widerspruchslösung. Die Lösung haben wir, und dann erfinden wir den doppelten Widerspruch.

Warten Sie mal eben, wir müssen noch schnell rausfinden, was wir gerade alles brauchen. Es ist ja nicht so, dass wir den Mann hier aufmachen und alles rausholen, was geht. Schließlich ist das kein Kassenpatient, der wird natürlich etwas anders behandelt, da warten wir einfach ab, und dann schauen wir mal, ob es sich überhaupt noch lohnt. Von Ausschlachten kann da keine Rede sein, wenn Sie so einen Kassenpatienten vor sich haben, etwa siebzig Jahre Regelversorgung, das ist die Art von Medizin, dass Sie nicht direkt an den Folgen der Therapier versterben, also wenn Ihnen so einer unters Messer rutscht, da können Sie nicht mehr viel verwerten. Ab und zu hat sich mal eine Niere ganz gut gehalten, aber mehr ist auch nicht drin.

Es sei denn, Sie sind Privatpatient wie der Herr hier. Scheckheftgepflegt, Porschefahrer, Leitplanke, Freunde der Nacht, es ist Samstag, da geht noch was! Der hier sieht ganz okay aus, offensichtlich für längere Zeit im Koma, äußerlich ganz normal, und dann schauen wir mal auf die Liste. Da steht dann, was wir gerade brauchen. Und da können wir dann nur A-Ware nehmen, das ist Ihnen schon klar. Wer in Deutschland privat krankenversichert ist, der hat auch Anspruch auf ein qualitativ hochwertiges Spenderorgan. Also das mit der Zwei-Klassen-Medizin ist tatsächlich so, aber sehen Sie darin jetzt einen Nachteil?

Die Schwester könnte mal langsam mit dem Datenbankzugriff kommen, das heißt: normal ist, dass sie keinen Zugriff auf die Datenbank hat oder keinen Eintrag findet. Wenn wir nämlich auf dem Zettel keine eindeutigen Informationen finden, dann müssen wir in der Spenderdatenbank nachschauen, ob jemand als Spender eingetragen ist. Das können wir üblicherweise schon ausschließen durch den Spenderausweis, aber in wenigen Fällen müssen wir diesen Weg gehen. Und da muss ich sagen, da hat die Bundesregierung endlich mal gezeigt, dass sie den Datenschutz ernstnimmt. Die nimmt den so ernst, die schützt sämtliche Daten derart vor jedem Zugriff, dass wir quasi gar nicht erst rausfinden können, ob jemand nun Organspender ist oder nicht, und da gilt natürlich im Sinne der doppelten Widerspruchslösung: im Zweifelsfall für den Angeklagten, also den Spender. Wir unterstellen ja jedem erst mal, dass er im Sinne der Gemeinschaft handelt. Sonst wäre das ja ein Widerspruch, aber ein einfacher, und der ist in dieser Lösung so nicht vorgesehen.

Verwechseln Sie das jetzt bitte nicht mit den Wartelisten für Empfänger. Die sind für uns nicht relevant. Das hieße nämlich, dass wir jeden potenziellen Spender nach seiner Spendefähigkeit klassifizieren und dementsprechend therapieren müssten, aber das ist ja eine Verschwörungstheorie, dass Sie hier reingerollt werden, Beinbruch, und der Chefarzt sagt beim Röntgen so ganz beiläufig: schöne Leber hat der Mann, da weiß der Pfleger dann sofort, was Phase ist, dann wird der Tropf falsch angeschlossen und die Hinterbliebenen kriegen dieses hübsche Informationsblatt, was für die Bestattung übrigbleibt. Ist natürlich totaler Quatsch. Das passiert Ihnen wie gesagt nur als Privatpatient, und auch da nur unter sechzig. Ich lasse mir ja auch keine Falten transplantieren, wenn ich nicht geliftet aussehen will.

So, da haben wir’s. Der Melderegisterauszug ist da, und den finden wir immer, weil der ohne Ihr Zutun erstellt wird, denn der ist in einem gut organisierten Staat eine Selbstverständlichkeit. Da steht nichts über Sie drin, aber der sagt uns, dass es Sie gibt, und dann müssen Sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Spenderdatenbank sein, so dass sich eine weitere Kontrolle aus Gründen der Wirtschaftlichkeit so gut wie erübrigt. Und damit haben wir dann einen Spender. Das ist widersprüchlich? Ja, stimmt. Noch nicht doppelt, aber wir arbeiten daran. So, dann lassen Sie uns mal schauen. Anforderungsprofil, Name, Alter, die Versicherungsnummer – Leute, wollt Ihr mich verarschen? Wir brauchen Spenderhirn, und Ihr rollt mir den Spahn rein!?“