
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Ja, noch immer haben wir Demokratie – eine Diagnose, die ungefähr so wenig schockiert wie Nagelpilz im fortgeschrittenen Stadium, denn mit vereinten Kräften und einer gesunden Aggression kriegt man alles wieder weg. Und dazu sind wir seit den Jahrzehnten der galoppierenden Globalisierung geradezu konditioniert – es wird nichts besser, es wird nur vielleicht nicht schlechter als es ohnehin schlechter würde, wenn man es denn ließe, weil es ohnehin gar nicht anders geht. Damit wir die grobe Richtung überhaupt erkennen und schon lange im Voraus begreifen, den Ritt in den Abgrund, die Schussfahrt gegen die Mauer, dazu gibt es die Parteien, jene Wahlvereine, in denen man sich in regelmäßigem Abstand seine Todesart aussucht, Pest oder Cholera, Verhungern, Fleischvergiftung oder Abschmieren durch heillose Verfettung. Das ganze Land meint, in die richtige Richtung zu torkeln, also nennt sich die ganze Veranstaltung Volkspartei. Doch wozu brauchen wir sie?
Zunächst ist es für die politischen Akteure, die Kirche und andere Sekten, Vereine, Verbände, Banken und Konzerne, nicht eben leicht, sich nach eigenem Nutzen Gesetze zu schmieren, wenn die Veranstaltung einigermaßen legitimiert aussehen soll. Damit man nun aber ein ganzes Land in eine Richtung mitnehmen, eine Mehrheit ad hoc und im Handstreich chloroformieren kann, braucht es diese Konstruktion, in der das einzelne Mitglied nichts, die Partei aber alles ist – so ähnlich, wie völkisch erklärt ein Volk funktioniert – mit dem Ergebnis, dass etwas passiert, das der Einzelne natürlich nie wollte, das er aber mitgetragen hat, und das auch noch zum Wohle des Landes. Weshalb man diese Läden aus Notwehr nur Volksparteien nennen kann. Sie sind wie multinationale Großkonzerne, die versuchen, mit zentralistischer Steuerung jenseits aller kulturellen, ökonomischen und geopolitischen Differenzen das eine identische Produkt mit der einen nichtssagenden Reklame in den Markt zu drücken, wo sie annimmt, dass ein paar gelangweilte Vertriebsstrategen beim Würfeln eine Lücke ausgemacht haben könnten. Sie sind wie Universitäten, die kurz nach dem Urknall aus der Trennung von Masse, Masse, Masse, Masse und Masse und Energie entstandenen Klötze aus Masse, Masse und Masse, sorgfältig mit den Ecken alles Universalen verkantet, damit ja nicht versehentlich eine Bewegung durch den Koloss rutschen könnte. Sie sind, und das reicht als Beweis ihrer Existenz.
Aus der Verachtung des Kollektivs entspringt die kollektive Verachtung dieser Dinger, die ein Volk ohne Traum in ihrer behäbigen Absolutheit, in ihrer realitätsresistent verschwiemelten Parallelwelt nicht mehr aushalten kann. Sie brauchen Brot und ein Dach über dem Kopf, aber die Partei für alles und jeden bewahrt sie vor tödlichen Verletzungen durch die echte Erbsenpistole. Sie erblickt in der grauenhaften Zukunft ein Klimainferno, und die Antworten sind so modern wie ein Klingelton-Abo. Mehr noch, die Partei versteht sich als Lieferant für Antworten aller Art, nur dass die Fragen niemand gestellt hat außer ihnen selbst – sie gehen ein auf die Umwohner, auf die Menschen draußen im Lande, vulgo: alles außerhalb des Elfenbeinturms, das noch arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu sichern, aber sie behandeln sie, wie das vertrocknete Kindermädchen aus der autoritären Schule seine Kinder behandelt hat, als eine gute Tracht Prügel noch als persönlichkeitsbildend galt. So viel Verständnis, so viel Empathie. Nicht.
Wer kein Profil liefert, und das tun die Parteien nicht mehr, braucht nur noch Wiederwähler. In ihrer panischen Angst aber, plötzlich einen Grund liefern zu müssen für ihre reine Existenz, dreht der Laden den Spieß um: der Kunde ist nicht mehr mit dem legislativen Lieferservice zufrieden, es kann sich nur um mangelnde Dankbarkeit handeln. Also straft die Organisation ihre Unterstützer im besten Falle mit Missachtung, üblicherweise jedoch spuckt man den schnöden Deppen gleich in die Suppe, weil sie unangenehme Fragen stellen: was stellt diese Trümmertruppe an mit unseren Stimmen, was macht sie mit unseren Steuern, was setzt sie uns als Demokratie vor? Die Antworten hängen müde im Wind herum.
Ja, sie haben verstanden, zumindest sagen sie das alle paar Tage und Jahre wieder, wenn sie wieder einmal nicht mitgekriegt haben, aus welcher Richtung die Ohrfeigenmusik kam. Längst haben sie Arbeitsgruppen gegründet, für eine Mörderkohle Unternehmensberater geholt, um herauszufinden: wer sind wir, und wenn ja, warum noch? Wenn das Volk sowieso alles besser weiß und uns genau das schwant, nach jeder Wahl wieder und wieder nach jeder Wiederwahl, warum lösen wir nicht einfach das Volk auf und ein wählen ein neues? Inzwischen glauben sie wirklich, dass sie uns alles verkaufen können, solange sie nur den Preis bestimmen. Die Marionetten haben ihre Fäden durchgenagt und zeigen uns ihre Mittelfinger. Sie werden sich noch wünschen, wir wären politikverdrossen.
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