Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLXXIV): Kulturelle Aneignung

26 07 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Irgendwann wird die Menschheit damit angefangen haben, sich das Gesicht zu bemalen, und keiner weiß, warum. Ob aus reinem Jux, in kriegerischer, kultischer oder kosmetischer Absicht, keiner weiß, wer es wo zuerst getan hat. Als wahrscheinlich gilt nur, dass nicht einer sich das Zeug von der Höhlenwand auf Wangen und Stirn geschmiert hat, sondern viele, mutmaßlich in allen Teilen der damals unbekannten Welt zugleich. Noch gab es weder Völker mit ausgeprägtem Abgrenzungsbedürfnis noch deren Anführer, der die Streifen auf dem eigenen Gesicht als Zeichen religiöser Inbrunst und das Geschmodder in der fremden Visage als degeneriertes Imitat oder fehlgeleitete Mimesis abgetan hätte. Erst recht hätte sich kein Häuptling herabgelassen, die bunten Balken auf dem Auge als kulturelle Identität der eigenen Ethnie zu preisen und alle anderen Völker als politisch inkorrekt zu bezeichnen, wenn sie dergleichen kostengünstig nachschwiemeln. Diese geistige Minderleistung wird der jüngeren Jetztzeit vorbehalten sein, vertotschlagwortet mit dem Verdikt der kulturellen Aneignung.

Sich bunte Punkte auf die Stirn zu malen als soziosemiotische Handlung ist einer von vielen Wegen, sich gegen alle unguten Geister zu schützen und zugleich den Personenstand öffentlich zu zeigen. In Westeuropa geschieht dies mit der obligatorischen Rockschleife auf der korrekten Seite, mit Art und Anzahl von Hutbommeln, Ring am rechten Finger und ähnlichem Gedöns, das nur lesen kann, wer lesen will. Beiden Konzepten ist gemein, dass sie im Laufe der Jahrhunderte zum ästhetischen Ritual erstarrt und in kommerzielles Handwerk abgeglitten sind. Doch während in Indien auch unverheiratete Frauen sich das dritte Auge schminken oder einen Abziehklebepunkt als Tika aufs Chakra tackern, ruft der industriell gefertigte Feminismus zwischen Boston und Bochum zum Kastrationsweltkrieg auf, wenn sich modisch experimentierwütige PersonInnen ein Bindi an die Birne pappen. Das ist mindestens strukturelle Gewalt – der übliche Nasenschmuck natürlich nicht, der hat sich in der westlichen Welt als Zeichen der Emanzipation durchgesetzt und ist als Wirtschaftsfaktor auch nicht mehr wegzudenken – und sollte in Erinnerung an den schlimmen Kolonialismus, den der weiße Mann der nicht weißen Frau und ihren TöchterInnen angetan hat, auch tunlichst unterlassen werden. Auf den Schreck erst mal ein Mango Lassi.

Denn das darf der Identitätsschützer, er hat sich das Rezept sicher auf dem letzten Ferienflug selbst mitgebracht, zusammen mit hübschen Kaschmir- und Seidenklamotten aus traditioneller Kinderarbeit nebst den ortsüblichen Designs, an denen man die Herkunft der Textilien erkennen kann, wenn man sich länger im Land aufgehalten hat, Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Da zeigt sich sein volles Talent zum differenzierten Denken, er entscheidet selbst, wo er den edlen Wilden schützt, bevor er sich mit dem Rest ein schönes Leben macht. Auf den Gedanken, eine Kultur selbst entscheiden zu lassen, was sie als und in welchem Kontext als schützenswert erachtet, käme das nie. Sie sind wie die zänkische große Schwester, die immer im falschen Moment nicht die Fresse halten kann.

Wahrscheinlich triggert die Idee des geistigen Eigentums die Vorstellung, man könne Gedanken auf Flaschen ziehen und sammeln, bevorraten oder entwenden, wie man ja auch Daten klaut oder Visionen mopst. Eine seltsame Dialektik von rein materialistischer Dinglichkeit, die die Idee als Wille und Vorstellung zum schützenswerten Gut macht, und krudem Idealismus erzeugt jenen Hirnschmerz, der sich als kritisches Bewusstsein auftakelt, und das heißt zu allererst: unkritisch gegenüber den eigenen Positionen, weil man im Recht ist und alle anderen sowieso Arschlöcher sind.

Entlang der frühesten Handelsstraßen haben sich kulturelle Errungenschaften jeglicher Art ausgebreitet, ohne die der Teutone heute nicht beim Bier auf dem Sofa säße, da es beides nicht gäbe ohne nahöstlichen Lifestyle. So definiert sich jeder fleißig die eigenen Grenzen schön, und die ach so awarenessbekifften Antirassisten betreiben fröhlich das Geschäft rechtsidentitärer Drecksäcke. Denn wer den eigenen Bionachbarn verbieten will, sich die Hände bunt zu bemalen – Tätowierungen sind okay, das ist nämlich so voll gegen das Patriarchat, dass es gar nicht Mainstream sein kann – sperrt nicht nur seine eigene Kultur in einem wirren Konstrukt aseptischer Reinheit ein, sondern auch andere Kulturen als letztlich volksfremde Elemente aus. Krieg heißt ja auch immer irgendwie Frieden.

Ab jetzt ignorieren wir fröhlich, ob die deutsche Kartoffel im tiefen Fett überhaupt als nationale Speise durchgeht oder nur für belgische Bolivianer statthaft ist, da Pommes völkische Leibspeise sind. Mit, China hin, Currywurst her, Ketchup. Und Bollywood. Nichts geht doch über Bollywood.


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