Unveränderliche Kennzeichen

29 07 2019

„Dritter Stock links, richtig? Wir wollen ja im Falle eines Falles auch korrekt informiert sein, und da ist so ein Detail manchmal ganz hilfreich. Seien Sie froh, dass wir an den Bürgern ein so großes Interesse haben.

Und wenn Sie bei Walther & Söhne arbeiten, dann immer wochenweise die Früh- und die Tagschicht, richtig? Ich muss es nur wissen, wir möchten eben im Vorwege sehr genau informiert sein, falls etwas passiert. Natürlich wollen wir auf gar keinen Fall, dass etwas passiert – aber dazu ist es eben unsere Aufgabe, dass wir vorher schon so viel wie möglich über Sie wissen. Da lassen sich dann auch Zusammenhänge besser erkennen, und man hat einen besseren Überblick über die Akten. Eine Behörde, die sich umfassend für die Sicherheit ihrer Bürger einsetzt, ist doch auch beruhigend, oder? Also ich finde das sehr beruhigend, dass wir so eine Behörde sind.

Aber wie gesagt, Sie haben alle zwei Wochen die Früh- und dann die Tagschicht. Ab halb neun fährt ja von Ihrer Straße aus der erste Bus in Richtung Innenstadt, wie kommen Sie denn dann in der Frühschicht hin? Die Maiblumenstraße durch und dann ab Maximilianplatz mit der Siebzehn in Richtung Bahnhof? Auch im Winter? auch im Sommer? Interessant, und da gehen Sie bestimmt immer morgens noch zum Bäcker und holen sich etwas zum Frühstück, richtig? Nein, das war jetzt bloß so eine Vermutung, die hätte überhaupt nicht stimmen müssen. Aber wo Sie das jetzt schon einmal so sagen, da kann man es doch auch gleich aktenkundig machen, oder? Schauen Sie, es ist doch kein Straftatbestand, wenn Sie am Morgen bei der Bäckerei belegte Brötchen holen und eine Zeitung. Das gehört halt zu Ihrem Leben dazu, so als eine Art unveränderliches Kennzeichen. Wir alle haben unveränderliche Kennzeichen, das weiß schließlich jeder.

Waren Sie mal Mitglied in einer Systempartei? oder haben Sie vielleicht in der jüngeren Vergangenheit mal eine gewählt? Ich frage das nur aus Routine, wir haben das in unserem Formular, und ich würde gerne einen vollständigen Datensatz haben. Selbstverständlich haben wir immer noch das Wahlgeheimnis, Sie müssen also gar nichts sagen, aber solange Sie keinen vollständigen Datensatz abliefern, kann es Ihnen natürlich passieren, dass wir Sie mehrmals nachbefragen, bis Sie uns alle notwendigen Auskünfte geliefert haben, und da wäre es doch klüger, wenn Sie uns gleich alles sagen, was wir brauchen, nicht wahr?

Sie haben ja auch noch eine Schwester, ist das richtig? Sie müssen uns die Anschrift nicht geben, wir finden das schon ohne Sie raus. Es gab nur in den letzten Monaten keinen besonders engen Kontakt mehr zwischen Ihnen, war da irgendwas vorgefallen? Also das müssen Sie und nun wirklich nicht sagen, das wollen wir tatsächlich nur rein vorsorglich wissen. Es kann ja wirklich mal etwas vorfallen, und dann ist es immer gut, wenn man es vorher schon hat kommen sehen, nicht wahr?

Es gibt eben so bestimmte Dinge, die sind nicht von vornherein klar. Bei Ihnen sehe ich jetzt keine besonderen Merkmale, Ihre Daten werden also aller Voraussicht nach einfach nur gespeichert, und dann werden wir auch keine Verwendung mehr dafür haben – falls nicht ein besonderer Fall eintritt, den wir heute natürlich noch nicht genau definieren können, deshalb brauchen wir ja eben so viele Daten von so vielen Bürgern. Weil man ja nie weiß, wann etwas interessant werden könnte. Oder auch gefährlich, für wen auch immer oder in welchem Zusammenhang jetzt genau. Aber davon verstehen wir auch nichts, und da ist es doch besser, wir lassen die Experten ihre Arbeit machen.

Das mit den Listen ist auch stark aufgebauscht worden in den Medien. Deshalb haben wir uns als Reaktion auf diese Hysterie auch überlegt, dass wir einfach ein generelles Verzeichnis mit den wichtigsten Eigenschaften unserer Bürger anlegen, damit die, die jetzt schon mit allerhand Einzelheiten auf so einer Liste stehen, nicht mehr das Gefühl haben müssen, sie würden als einzige auf so einer Liste stehen. Ich sehe das durchaus als praktizierten Minderheitenschutz. Und jetzt müssen wir eben so viele Informationen wie möglich sammeln, damit wir ein so großes Projekt auch ordentlich im Sinne der Bürger zu Ende bringen.

Die Daten sind bei uns auch in guten Händen, da können Sie absolut sicher sein. Die liest nur die Polizei, vielleicht wird irgendwo mal etwas an die Geheimdienste weitergegeben, wenn es die Ermittlungen im Inland erleichtern sollte, aber sonst ist da nichts vorgesehen. Die Bundeswehr könnte noch ein Interesse haben, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, für welche Art von Dienstgebrauch das sein sollte. Aber da fragen Sie mal bei der Bundeswehr nach, die erklären Ihnen das bestimmt.

Dann bräuchten wir eigentlich nur noch einen Kontakt, wen wir im Falle eines Falles verständigen können, und wir müssten auch ein paar Auskünfte haben über diese Person. Man soll ja nichts dem Zufall überlassen.“