„Nehmen Sie auch noch eine Tasse“, nötigte er mich. „Ich setze gleich neuen Tee auf.“ Breschke spülte die Kanne um und stellte den Flötenkessel auf den Gasherd. „Man soll bei dieser Temperatur lieber vorsichtig sein.“
Die Gartenarbeit hatten den Hausherrn ein wenig erschöpft, also hatte er sich ein frisches Hemd angezogen und sah auch ansonsten landfein aus. „Die Zeitungen bringe ich am Wochenende weg“, überlegte er, „und wenn Sie noch kurz in den Baumarkt wollen, ich fahre auf dem Rückweg sowieso über die Trelleborgstraße.“ Er faltete ein Anzeigenblättchen, füllte das Teeei und hängt es in die Kanne. „Kleinen Augenblick noch.“ Ich tupfte mir den Schweiß von der Stirn. Es war im Haus wirklich ungemütlich. Wie stickig musste es erst im Wagen werden. „Sie können ja die Ärmel auf der Fahrt hochkrempeln“, riet mir Herr Breschke. „Es sieht uns ja keiner.“
Damit hatte er allerdings recht. „Ich werde Ihnen mal etwas Linderung verschaffen“, beruhigte er mich. „Sie werden sehen, es wirkt sofort.“ Und er öffnete den Kühlschrank, um eine Flasche aus der Tür zu ziehen. Ich riss die Augen auf. „Bei dieser Hitze!?“ „Ach was“, lachte der pensionierte Finanzbeamte. „Kosten Sie nur.“ Er entkorkte die grüne Flasche, deren Etikett eindeutig auf einen ordentlichen Burgunder hindeutete, und goss mir ein. „Leitungswasser“, kostete ich, „nichts als Leitungswasser.“ Er nickte. „Den Tipp habe ich aus der Briefmarkenzeitschrift: nichts kühlt so gut wie Weinflaschen, und umweltfreundlich ist es auch noch, weil man kein Plastik braucht.“ In der Tat war das Wasser angenehm kühl. Horst Breschke füllte sich ebenfalls ein Glas, denn der Tee brauchte doch noch ein Weilchen. „Wir müssen langsam los“, drängte ich. „Gemach“, lächelte der Alte. „Ich werde uns für den Weg noch zwei von denen ins Auto mitnehmen. Sie werden sehen, es wird viel angenehmer.“
Trotz allem war die Fahrt nicht entspannt; der Feierabendverkehr hatte bereits eingesetzt, als wir in die Uhlandstraße einbogen, an ein schnelles Vorwärtskommen war nicht zu denken. „Wenn wir nur rechtzeitig sind“, knurrte Breschke und presste die Hände ins Lenkrad. „Ich will nicht morgen noch mal in die Stadt fahren, um den Sommeranzug abzuholen.“ „Das wird nicht nötig sein“, bemerkte ich. „Morgen ist die Reinigung nämlich gar nicht geöffnet.“ Er schnappte nach Luft. „Ich verliere langsam die Geduld!“ Und er griff neben den Sitz, wo eine der Flaschen sich befand. „Doch nicht während der Fahrt“, rügte ich, „ich jedenfalls habe keine Lust darauf, dass Sie mich unter Wasser setzen.“ „Ich verdurste“, murrte Breschke. „In Bezug auf die Verkehrssicherheit sollten Sie mir durchaus die Gelegenheit geben, mich zu… –“
Mit einem Ruck stand der Wagen, im letzten Augenblick hatte Herr Breschke die rote Ampel entdeckt und war aufs Bremspedal gestiegen. „Dann steht einer kleinen Erfrischung nichts mehr im Wege“, frohlockte er. „Ich würde es nicht tun“, sagte ich sehr ruhig, aber auf mich hörte er nicht, setzte die Flasche an und nahm einen tiefen Zug. „Wenn Sie bitte mal pusten?“ Der Alte zuckte zusammen. Mit grimmiger Miene blickte der Polizist durch das geöffnete Fenster. „Hören Sie“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, „es handelt sich um ein Missverständnis.“ „Natürlich“, gab der Schutzmann gelangweilt zurück. „Sie kommen viel zu spät zu Ihrer Weinprobe und wollen auf dem Weg schon mal das Versäumte nachholen.“ „Ich verbitte mir das“, zischte Breschke. „Sie wissen“, erklärte der Beamte zu mir gewandt, „dass vor allem die enthemmende und aggressionsfördernde Wirkung des Alkohols im Verkehr entsetzliche Folgen haben kann?“ „Probieren Sie wenigstens einmal“, riet ich ihm. Bevor er antworten konnte, hatte ich Breschke die Flasche entwunden und sie dem Polizisten unter die Nase gehalten. „Ich trinke nicht“, sagte er knapp. „Zumindest nicht im Dienst.“ Ich neigte den Hals ein bisschen, dass das Wasser auf seine Schuhe tropfte. Er lief rot an. „Das ist grober Unfug“, brüllte er, „ich werde Sie beide verhaften!“ „Festnehmen“, korrigierte ich, „oder habe ich da etwas an Ihrer Uniform übersehen?“
Verärgert stapfte der Polizist weg, wir nutzten den psychologischen Moment, denn es war gerade Grün. Breschke fuhr ums Eck, bog in die Kaiser-Wilhelm-Allee und kam zitternd vor der Reinigung zum Stehen. „Gerade noch rechtzeitig“, stellte ich fest. Doch ihm ging es gar nicht gut. Er hielt sich am Wagen fest, während ich meine Hemdsärmel herunterkrempelte. „Das ist alles zu viel für mich“, wimmerte er, „das ist heute alles zu viel!“ In der Mitte verkrümmt watschelte er auf die Reinigung zu, sichtbar um Haltung bemüht, während ich ihm die Türe aufhielt. Die junge Dame hinter dem Tresen begrüßte uns freundlich und erkundigte sich nach unseren Wünschen. Stöhnend hielt mir Horst Breschke den beigen Coupon hin, während er unverständliche Laute ausstieß. Die Verkäuferin begriff sofort. „Da hinten links“, erklärte sie, „die Tür ist offen.“ Noch immer gekrümmt stolperte der alte Herr in die hinteren Gemächer, während ich den frisch gereinigten Anzug entgegennahm.
Erleichtert erschien Breschke, schweißnass, aber mit der Miene milder Ergebenheit. „Sie sehen aber auch mitgenommen aus“, sagte die Dame, sichtlich erschrocken, und sie griff zu einem Becher, den sie unter den Wasserspender hielt. „Nehmen Sie erst mal einen kräftigen Schluck, das wird Ihnen gut tun – bei diesem Wetter.“
Satzspiegel