In guter Erinnerung

28 08 2019

„Schön ist natürlich anders.“ Breschke hielt sich die schwarze Krawatte unters Kinn. „Aber für den Anlass kommt es natürlich eher auf die Farbe an.“ er rollte den Trauerbinder zusammen und legte ihn auf den Garderobenschrank. „Gut, dass Sie solche Sachen immer zur Hand haben.“

Am Vormittag hatte mich der alte Herr angerufen und mir geklagt, dass er seinen ganzen Kleiderschrank durchwühlt, nicht aber seine schwarze Krawatte gefunden habe, ohne die er nun auf keinen Fall zu einer bald folgenden Beisetzung würde gehen können. Natürlich fand ich meinen schwarzen Schlips – auch ich besaß nur einen und für denselben Anlass – und lieh ihn ungern, aber es musste ja sein. „Das Jackett kann meine Frau in den nächsten Tagen ja noch mal bürsten, aber mehr muss man da auch nicht unbedingt machen.“ Horst Breschke griff ums Eck in die Küche und fischte die Zeitungsanzeige vom Tisch. „Da, sehen Sie.“ „Körzenich“, las ich, „Fritz Körzenich – das war mal ein Kollege von Ihnen?“ „Und ob“, knurrte der pensionierte Finanzbeamte, „und ob – und ich frage mich, ob dieser Mensch den ganzen Aufwand überhaupt wert ist.“ „Bitte“, erschrak ich. „Lieber Herr Breschke, Sie werden doch wohl nicht jetzt, sozusagen im Angesicht des…“ „Papperlapapp“, schrie er und hieb mit der Faust auf den Tisch. „Der hat als Vorgesetzter mehr Schaden angerichtet, als das Finanzamt in seiner ganzen Zeit überhaupt je Schaden hätte anrichten können!“

Dieser Fritz Körzenich also war nun im Kreise der Angehörigen nach langer, schwerer und tapfer ertragener Krankheit seinen letzten Weg gegangen. „Das weiße Hemd ist auch schon wieder in der Reinigung, aber ich habe noch eins.“ Herr Breschke überlegte. „Das ist mit kurzen Armen, aber meine Güte, die können doch froh sein, wenn ich zu dem Firlefanz überhaupt komme.“ „Was mich wundert“, bemerkte ich, „dieser Körzenich ist ganz kurz nach seiner Pensionierung…“ „Nein“, fiel mir der Hausherr ins Wort. „Der war damals ja schon ein Greis, als im Fachbereich Einkommensteuer III angefangen habe.“ „Aber so jung?“ Er schielte auf die Anzeige. „Das muss ein Druckfehler sein. Und er war ja auch damals verheiratet mit einer…“ – Breschke hielt die zusammengefaltete Zeitung weit von sich weg und kniff ein Auge zusammen – „… Hilda, steht da doch, und die werden sich ja wohl nicht zweimal in einer Traueranzeige verschreiben.“

In der Tat machte mich das Inserat ein bisschen stutzig. „Die Traueranschrift ist ja gar nicht hier.“ „Er wird sich von seinem zusammengegaunerten Geld eine Villa im Süden gebaut haben“, schimpfte Breschke. „Wenn ich an diesen Gernegroß denke, wie er versucht hat, Behördenleiter zu werden – und dann hat er ganz aus Versehen die Steuerfahndung zu Kunz & Söhne geschickt, und die haben ihre Schulden nicht zahlen können und waren innerhalb von drei Monaten pleite!“ Er schüttelte sich vor Widerwillen. „Geben Sie mir einen guten Grund, warum ich überhaupt auf der Beerdigung von diesem Affen auftauchen sollte!“ „Sie müssen ja gar nicht“, wandte ich ein. „Wenn Ihnen der Gedanke nun aber auch so eine Abscheu verursacht, dann würde ich es doch an Ihrer Stelle auch lassen.“ „Das könnte Ihnen so passen!“ Voller Zorn stampfte Breschke mit dem Fuß auf. „Ich werde da hingehen, und ich werde mich persönlich davon überzeugen, dass sie diesen Fiesling eingraben, jawohl!“

Er wollte sich auch gar nicht wieder beruhigen. „Die Schuhe gehen noch, die müsste meine Frau nur mal zum Besohlen bringen, aber so wichtig ist das nun nicht.“ Endlich legte Horst Breschke den Zeitungsausschnitt wieder in die Küche und nahm den Hausschlüssel vom Haken. „Wie wir diesen Fettsack gehasst haben – jeden Tag, wenn er seine Spiegelglatze durch die Tür gesteckt hat, war in der ganzen Abteilung gelaufen!“ Schnurstracks lief er auf das Rosenbeet zu. „Aber das sage ich Ihnen, wenn mich seine Frau, wie hieß sie noch gleich, wenn mich…“ „Breschke?“

Er stand wie angewurzelt. Hinter der Hecke lugte ein Gesicht hervor. „Horst Breschke?“ Der ältere Herr trug eine dicke Hornbrille und sorgfältig gescheiteltes graues Haar. Langsam schritt er zum Gartentor, wo man nun sah, dass er sich auf einen Spazierstock stützte. „Erkennen Sie mich gar nicht mehr?“ Er reichte mir die Hand über die Pforte hinweg. „Körzenich, Hans Hubert. Seinerzeit Oberregierungsdirektor in der Finanzverwaltung.“ „Das ist doch…“ Der Alte lächelte und lehnte sich ans Gitter. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie auch hier in der Gegend wohnen. Meine Frau und ich, wir haben seit ein paar Jahren eine kleine Wohnung hier um die Ecke in der Tannenkoppel. Man braucht ja in dem Alter nicht mehr so viel.“ „Sehr erfreut“, würgte Breschke hervor. „Wirklich, sehr erfreut.“ „Er hatte nämlich damals schon ein hervorragendes Gedächtnis“, erläuterte Körzenich. „Wenn ich daran denke, wie er seinerzeit Kunz & Söhne dingfest gemacht hat, weil die Zahlungen über Jahre hinweg zurückgebucht worden waren – Donnerwetter! Das waren an die hunderttausend Mark, und das war zu der Zeit eine enorme Summe. Ja, unser Breschke hatte schon immer den richtigen Riecher.“ Damit reichte er mir ein zweites Mal die Hand. „Kommen Sie doch mal vorbei auf eine Tasse Tee, meine Frau würde sich auch freuen.“ Und so schritt er lächelnd von dannen. „Ein sehr angenehmer Mensch“, bemerkte ich. „Ja“, sagte Herr Breschke knapp. „Wissen Sie was?“ Ich zuckte die Achseln. „Wenn Sie mich fragen, der gute Mann verwechselt mich.“