Der Einsatz kam ganz überraschend. Siebels sah übernächtigt aus. „Auf einmal“, schimpfte ich. „Wie oft habe ich das gesagt, und jetzt auf einmal sollen Sie als Produzent die…“ „Ich habe das selbst angeordnet“, schnitt er mir das Wort ab. „Und wenn sie jetzt nicht alle spuren, werfe ich jeden einzelnen von ihnen noch heute raus.“
Die Moderatoren saßen alle in der Maske. Hier und da gab es kleine Unstimmigkeiten betreffs des Ablaufs, aber die nervöse Anspannung hielt sie alle unter Kontrolle. Keiner sprach ein lautes Wort, nur in der hinteren Garderobe johlte es. „Gut“, knurrte Siebels. „Dann wollen wir mal.“ Und er schritt geradewegs auf Henriette Mauschel zu, die mit ihrer Talkshow am Donnerstag auf der Kippe stand, sie wusste es nur noch nicht. „Wir haben uns wohl verstanden“, sagte er. „Sie haben zwei Minuten dreißig, danach sind die Fronten klar.“ „Aber…“ Siebels beugte sich leicht nach vorne. „Sie haben zwei Minuten.“
Hinten in der Maske polterte es. Der erste Gast stolzierte ins Studio, das er zugegebenermaßen gut kannte, denn wie viele Sendungen hatte er nicht hier mit populistischem Geplapper erlebt. „Er sitzt links“, dirigierte Siebels den Regisseur. „Das ist aber jetzt bildtechnisch ganz schwierig, wenn wir die…“ Der Produzent packte ihn unvermittelt am Kragen und zog ihn zu sich heran. „Wenn ich sage ‚Mach Dir in die Hosen‘“, zischte er, „dann machst Du was?“ „In die…“ Siebels stieß ihn wieder weg. „Schön, dass wir uns gleich verstehen. Das könnte der Beginn einer langen Freundschaft werden.“ Der Regisseur wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Die Mauschel bitte nach recht, nach rechts bitte!“
„Wir wollen gleich mit den wichtigen Themen beginnen“, setzte die Moderatorin ein. „Sie sehen sich seit mehreren Wochen mit Ermittlungen wegen eines Vermögensdeliktes konfrontiert, obwohl Sie dies in der Öffentlichkeit bisher immer abgestritten haben.“ „Schweinerei“, polterte der Kahlkopf. „Ich werde mich über Sie beschweren, Sie werden, wenn wir die Wahl, werden wir Drecksäue wie Dich in der…“ Siebels vollführte eine wegwerfende Geste. Sofort traten zwei muskulöse Herren, Möbelpacker oder Berufsboxer, an den schimpfenden Gast heran und machten ihm schnell und unbürokratisch klar, dass er eine faire Chance hatte, das Gelände im Vollbesitz seines Gebisses zu verlassen. Henriette Mauschel zitterte am ganzen Leib. „Gut gemacht“, lobte Siebels. „Sie sehen, man muss mit den Leuten nur reden. Und zwar in genau der Sprache, die die Zuschauer verstehen.“
Die zweite Kandidatin war nur wenige Minuten später auf dem dazu vorgesehenen Platz. „Moritz Höfgen.“ Wie Siebels den Namen aussprach, hörte es sich bereits sehr endgültig an. „Sie mögen ihn nicht.“ Er grinste bitter. „Was hat mich verraten?“ „Seine Gesprächsführung ist nun wirklich nicht berühmt für Ausgewogenheit und…“ „Unsinn“, schnarrte er. „Höfgen ist ein pseudointellektueller Schwätzer, der nicht einmal ein Thema braucht, um daran vorbeizureden.“ „Und wie will er jetzt gegen diese hysterische Schlange antreten?“ Er blickte ins Leere. „Fragen Sie mich nicht.“
„Erst einmal schön, dass Sie sich heute Abend Zeit nehmen“, schwafelte der untalentierte Typ. „Das war zu erwarten“, konstatierte ich. „Nach jeder Sendung fordern die Kritiken, dass man ihn in der Versenkung verschwinden lässt.“ „Und er fasst das als Zensur auf“, fügte Siebels trocken hinzu. „Sie wollen also auf Frauen und Kinder schießen lassen an der Grenze, nur damit ich das richtig verstehe – das sind immense Kosten für Munition und Beseitigung, kann man das dem Steuerzahler wirklich…“ „Aus“, sagte Siebels tonlos. Ein Blick zur Seite, das Scheinwerferlicht verlosch. Höfgen verstummte. „Schmeißt ihn raus.“ Inzwischen regte sich Protest, aber der Produzent bleib unerbittlich. „Drehen Sie das Licht wieder an, wenn er weg ist, und dann schicken Sie den nächsten rein.“
Zu meinem Erstaunen setzte er sich selbst in den Moderatorendrehsessel, als sie den Alten ins Studio begleiteten. „Ich sollte doch…“ „Setzen“, knurrte Siebels. Völlig perplex folgte der Greis dem Befehl. „Sie sind also ein bekennender Faschist“, begann er die Ansprache. „Sie leugnen Verbrechen der Wehrmacht, reden den Krieg, die Verfolgung und den Holocaust klein und geben offen zu, dass Sie den Mord an missliebigen Amtsträgern als ein Zeichen von nationaler Notwehr entschuldigen.“ Der Alte schnappte. „Sie werden sich für Ihre Lügen verantworten“, brüllte er, „ich lasse Sie alle ausrotten!“ „Wir haben für jede Ihrer Äußerungen umfangreiches Filmmaterial vorbereitet, das auch vor Gericht als Beweismaterial hilfreich wäre. Warum bezeichnet sich ein Nationalsozialist, der für die Sicherheit ein Verzeichnis aller jüdischer Einwohner haben will, als bürgerlich?“ „Ich werde Sie alle…“ „Und da sind wir auch schon beim nächsten Punkt, Sie haben die Errichtung von Lagern für Journalisten und Wissenschaftler zum Schutz der Bevölkerung von linker Propaganda gefordert – wollen Sie sich das auch ansehen? Wir haben gleich drei Reden, da waren Sie ein bisschen unvorsichtig. Außerdem waren Hakenkreuzfahnen auf der Bühne, aber das wussten Sie sicher nicht.“ Abrupt stand der Alte auf und blieb mit dem Fuß im Drehgestell des Sessels stecken. „Passen Sie auf Ihren Flachmann auf“, höhnte Siebels, während der Kandidat sich mühsam vom Boden aufsammelte. „Und raus.“ „Sie wissen, dass das Konsequenzen haben wird?“ Der Produzent schnipste mit den Fingern. „Sehen Sie, so macht man das. Wer fragt, führt. Antworten haben diese Knalltüten eh keine.“
Satzspiegel