
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Sie hatten alles erfunden. Es gab Garküchen und Rohkostrestaurants, Bratwurstbuden und Crêperien, Brezelmänner und Dönerdingsis, vegan, historisch-kritisch oder kalorienneutral. Keiner konnte mehr zu Hause sitzen und sich in Unschuld die Bemme buttern, die Stulle vor dem Schuss hätte ihn verraten als Roggen- und Alleinbrödler, sozial inkompatibel, keiner reicht ihm den Rettich rüber. Immer noch gab es in den großen Städten vereinzelt wirre Gestalten, meist diffus bindungsunfähig oder halbvegetarisch oder beides, die saßen am Sonntag zufrieden auf der Bettkante und löffelten ihre Haferflocken. Das, sagte sich der gastronomisch-industrielle Komplex, lassen wir uns nicht bieten. Wir wollen nur Deine Seele, und zahlen wirst Du auch noch dafür. Du hast keine Freunde, und Du weißt es. Also geh mit ihnen zum Brunch.
Die saloppe Bezeichnung stimmt schon auf das Ereignis ein: völlig wurst, wie das Ding heißt, aber Hauptsache Kalorien hinters Zäpfchen hebeln. Die Zumutung beginnt damit, sich am Wochenende vor der Tagesmitte in eine Hose zu stopfen – ein deutliches Indiz dafür, dass die Mehrwegmalzeit nicht von geistig funktionsfähigen Personen erdacht worden sein kann. Zudem sind die Bestandteile der Frühstückskomponente, die die eigentliche Zumutung ausmacht, in jedem durchschnittlichen Haushalt ohnehin vorhanden, und das qualitativ besser als in der auf Masse optimierten Marmelade- und Butterkleinstpäckchenorgie, die bereits auf einem handelsüblichen Hotelfrühstücksbasar vor lauter Verpackungsmüll den Wunsch aufkeimen lässt, die Sache mit Handgranaten zu beenden. Staubiger Wurstaufschnitt verwest an der Seite leise schwitzender Schnittkäsereste vom Vortag, billiger Antibioselachs aus dem Süßwasserzuchtkoben wechselt in Zeitlupe den Aggregatzustand – die Qualität kennt der Bekloppte aus dem Discounter seines Vertrauens, nur stimmt hier wenigstens das Preis-Leistungs-Verhältnis. All dies wird nur getoppt vom Fressdiener, der fröhlich schunkelnd mit der Thermoskanne durch die Morgenmesse ministriert und Wasser in Halbtrauer nach Kaffeeart in die Tasse schwiemelt, Depression zum Trinken.
Vielleicht ist es der unterschätzte Ansatz des Langfressens, dass der gemeine Gast sich nicht nur einmal wie am kalten Büfett schnöde einen Zentner Krabbensalat auf den Teller klotzt, um nach der doppelten Portion Rehmedaillons in Armagnac doch mit einem Tieflaster Kartoffelsalat zu enden; auch hier stapelt der geneigte Esstremist sich Knäcke und Rührei auf, muss aber irgendwann vom Konfitürebrötchen zwangsläufig zum Schnitzel schwenken, Vor- und Hauptschmatzgang, was das Verharren an einer Kostenstelle schwierig gestaltet. In wenigen Ausnahmen wurden Gäste geortet, die sich aus purer Gewohnheit an der Cerealienschüssel festgefressen hatten; manchmal gelingt es dem Servicepersonal, sie mit frittierten Fettaugen vom Container wegzulotsen, in tragischen Fällen gibt auch der Therapeut auf.
Wer bis hier die Frustration überwunden hat, an einem freien Tag das Gehäuse verlassen zu haben, und zwar ohne Frühstück, um solide unterzuckert in die Mastkur einer enthemmten Freizeitgesellschaft zu torkeln, wird jäh konfrontiert mit deren Sitten. Während der durchschnittliche Süßfrühstücker noch an der Honigsemmel nagt, schlingt die Hackfresse gegenüber schon die zwölfte Bratwurst herunter und hinterlässt ein olfaktorisches Profil, als sei gerade ein mittelgroßer Weihnachtsmarkt in die Luft geflogen. Meist hört es sich auch so an; hin und wieder riecht es nur so. Dass man aber für die einzige private Mahlzeit des Tages diese Kulisse aufsuchen muss, ist eine Beleidigung auf so vielen Ebenen. Nicht nur bewegt kein Koch den Hintern für diese Bricolage von zweifelhaftem Nährwert, es gräbt auch jeder im Graubrot, als wäre dies ein Fachkongress zum Thema Schmierinfektionen. Hier und da suppt schon mal die Butter zu Mittag der Gravitation folgend in die Trägersubstanz, Frischobst spottet jeder Botox-Reklame, und bei allem fragt sich der Konsument, ob man dieses Zeug nicht vielleicht gleich aus Silikon fertigen und im Raum verteilen könnte; die obligaten Fotos fürs Folg wären vielleicht nicht ganz so widerwärtig.
Das Armageddon der Ästhetik jedoch lauert in der All-you-can-eat-Veranstaltung, die regelmäßig ein Publikum anzieht, das den Namen wörtlich nimmt. Die physiologische Selbstverstümmelung, die nur durch einen chronisch vorgeweiteten Magen überhaupt möglich wird, sieht wie ein besonders bizarrer Suizid aus, für den Darwin post festum ein Häkchen in sein Notizbuch krakelt. Man weiß nicht, ob man sich lediglich durch den Druck des Magenpförtners auf den Kehldeckel oder vom Anblick dieser Völlerei brüllend in die Nudelreste erbricht. Genau dies wäre ein Grund, angewidert aufzustehen und fluchtartig die Szene zu verlassen, zukünftig Einladungen aus dem Feindeskreis mit impulsiver Gewalt zu begegnen und sich ansonsten nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit zu zeigen. Zu Hause bleiben, sich redlich nähren. Auch wenn hier der Abwasch droht.
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