Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLXXXVI): Der Terror der Maschinen

18 10 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wir hätten es verhindern können, aber wir waren nicht in der Lage, die Folgen unseres Tuns abzuschätzen, geblendet von den Möglichkeiten einer großartigen Zukunft. Kaum war das Rad als Prototyp entworfen, grübelten die beiden Tüftler aus der Werkstatthöhle schon über die nächsten bahnbrechenden Geräte nach. Kaum hatte der Hebel seinen Siegeszug angetreten, zeichnete sich am Horizont die physikalische Revolution ab: mit dem Keil betrat die Menschheit Dimensionen, die nie ein denkendes Wesen für denkbar gehalten hatte. Was waren wir behämmert. Hätten wir uns gemütlich auf den Baumwipfeln eingerichtet, der ganze Müll an Industrie, Technik und kundendienstbedingten Hirnembolien wäre nie passiert. Aber wir mussten ja unbedingt funkferngesteuerte Fensterläden vor unsere Doppelglasscheiben pappen, weil Vati beim Klappen immer die Füße einschlafen. So fing er an, der Terror der Maschinen.

Kaum war der durchschnittliche Haushalt mit Sanduhr und Schornstein ausgestattet, kamen auch schon die ersten Apparate: Eisschrank und Quirl, Klingel, Gaslicht und Flötenkessel. Ließ der Teppichroller dem Stubenmädchen noch halbwegs die Kontrolle über die Substanz der Mietsache, so schlug schon der erste Staubsauger, damals noch als Drucksaugblasschlucker mit Schlauchsystem von der Straße, hinter ihr die Türen zu. Das heulende Monstrum, das Katzen die Vorhänge hinauftrieb und mit einer immer zu kurzen Schnur Gestühl und Gerümpel umwarf, nach sich schleifte und Treppen hinunterschmiss, war nur als Vorstufe gedacht zu jenem perfiden Willkürgerät, das ganz nach Lust und Laune durch die Räume kreiselt, um sich dem Mieter, der mit dem Teebrett in Richtung Couch schreitet, tückisch ins Geläuf zu schwiemeln, damit dieser sich die Gräten bricht und ein Kilo Steingut samt Heißgetränk in der gläsernen Vitrine platziert. Die Machtlosigkeit des Hausherrn ohne elektrisch beheizbare Küchenrührer ist noch nicht verklungen, der soziale Abstieg für eine vierköpfige Familie mit nur sieben Großbildfernsehern in der Drei-Zimmer-Bude dräut noch unter der Decke, da bollert auch schon der Weltuntergang durch’s Fenster: die Fernbedienung ist im Eimer. Erst zwingt das Heer sinnlosen Geraffels den Gegenwartsmenschen in die schiere Abhängigkeit, weil kein Gemüse mehr ohne scharfkantiges Werkzeug aus der Dose will, dann kratzt episch eins nach dem anderen ab und hustet seine Seele aus über dem Schlachtfeld des verdämmernden Elektroschrotts. Im Durchschnitt besitzt eine normale Hausgemeinschaft mit Kindern im Teenageralter fünf Drucker, zehn Haartrockner, eine Brotschneidemaschine, drei Waschmaschinen, einen Wäschetrockner sowie einen ausgebauten Dachboden voller Küchenschamott, die nachts mit diabolischem Grinsen verabreden, wie sie am ersten Weihnachtstag in den letzten Vorbereitungen zum Familienmahl unter Qualm und Stichflammen elend verrecken. Jede Diskussion erübrigt sich, wer in dieser Beziehung den dominanten Part übernimmt.

Die Überwindung passiv-aggressiver Gewalt geschieht meist, wo die Maschinen ganz offen dazu übergehen, die Existenz ihrer humanoiden Sklaven zu gängeln. Hier übernimmt der Kühlschrank offen die Herrschaft über das Budget und erledigt die Einkäufe, ohne sich auf Diskussionen einzulassen, dort temperiert die Heizung das Wohnzimmer auf Saunaumgebung, um die tropischen Gewächse zu erfreuen, die smarte Steuerung dimmt Leuchtmittel und schließt die Jalousien bereits am Mittag, während die Badewanne sich automatisch füllt, auch dann noch, wenn der Wasserspiegel schon aus der Decke des Untergeschosses suppt. Das Haus lässt sich nicht mehr von innen öffnen, aber das macht dem Lieferservice nichts aus, der nutzt die sensorgesteuerte Klappe an der Kellertreppe – die Immobilie benötigt keine Bewohner mehr, um sich unauffällig marktgerecht zu verhalten.

Schwierig wird es, wenn auch das Auto sich zur autonomen Technikeinheit weiterentwickelt. In furchtbaren Vorstellungen knipsen Geheimagenten auf der Autobahn die Bremsen aus, navigieren die Karre auf den Standstreifen und zünden dann die Selbstzerstörungssequenz. Die Realität wird anders aussehen. Die Limousine wird statt ins Büro zu fahren am Morgen gemütlich die Türen verriegeln, auf die Umgehungsstraße abbiegen und sich lässig Wellness mit Hartwachs und Unterbodenschutz gönnen, während der Fahrer schreiend ins Lenkrad beißt. Vielleicht verabreden sich die Karren ja auch nach Einbruch der Dunkelheit und lassen sich an der Tanke mit Biodiesel voll laufen. Der Weg zur künstlichen Intelligenz ist kurz, wie lange es dann noch bis zum maschinellen Weltkrieg dauert, war bisher noch kein Thema.

Wahrscheinlich leben wir längst in einer miesen Cybersimulation, die sich ein Kaffeekapselautomat aus dem Wassertank gerülpst hat, schlecht sortierte elektrische Impulse in zufälliger Reihenfolge, und nur die eine oder andere Alkaloidbeimischung an Fest- und Feiertagen blitzdingst unsere Hirnmasse ausreichend für einen Reset, bevor der Schmodder wieder von vorne losgeht. Schönen Dank auch, Archimedes.