
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Allons enfants de la Patrie. Möglicherweise haben Sie den Bus um ein paar Jahrhunderte verpasst, aber das macht nichts. Hinter Ihnen steht noch immer der Soziologiebeauftragte und bringt Ihnen schonend bei, dass Sie zwar irgendwie schuld sind, aber letztlich doch nichts dafür können. Sie vegetieren zwar zwischen Baum und Borke, nicht Hartz IV und nicht Ferrari, aber das hat Ihnen so keiner erklärt. Zu viele Fremdworte: Gesellschaft. Leben. Welt. Da kann man schon mal ins Schleudern geraten, wenn einem plötzlich Kollege Schwerkraft die Regeln vorturnt. Am Ende wird nun mal bezahlt, und wer soll schon bezahlen? Natürlich die Mittelschicht.
Grimms Märchen haben einen Nachfolger von Format gefunden: die Aufstiegslüge, nach der sich jeder bis zum Grad seiner endgültigen Kompetenz hochdienen kann, gespiegelt im Gehalt. Die Realität sieht meist nur den Aufstieg von Soziopathen vor, die sich mit dem verschwiemelten Aufbau und seinen Schleimstellen verbunden haben, aber das macht die Sache keineswegs besser. Was die im eigenen Status wurzelnde Arbeiterschaft angeht, so hatte sie nie den Dünkel des flachen Managements, das sich herausgehoben fühlte, wo es nicht sofort wieder in den Grund getreten wurde. Jeder von ihnen aber war antidiskriminiert: endlich nicht mehr als Arbeiter, als Bodensatz behandelt, endlich nicht mehr mit dem Verdikt überflüssiger Masse auf Schritt und Tritt konfrontiert. Wer nicht täglich vor der Mannschaft angepöbelt wird, bildet sich auch langsam Führungsqualitäten ein.
Die Tragik des allgemeinen Besitzes zeigt sich, dass auch hier nur die Großbürger an ihren anstrengungslosen Wohlstand glauben – wer andere beschimpft, nutzt ja nur das Vokabular, bei dem die eigene Claque steil geht – und also nur nach unten treten, während sie geflissentlich ausblenden, dass es auch oberhalb ihrer Schicht einen repressiven Keil gibt, der sie auseinander treibt. Natürlich macht man die Unterschicht verantwortlich für ihre eigene Lebensqualität, und flugs folgt das Mantra, sie sollten gefälligst etwas dafür tun.
Und so auch in der anderen Etage. Die von der neoliberalen Entwertung des gemeinen Individuums durchgezogene Propaganda, dass natürlich nicht die Erwerbsarbeit, sondern nur der im Shareholder Value durch die Schönheitsoperationen scheinende Flitter wirksam sei, trifft ausschließlich die untere Schicht; wenigstens scheint es so, denn nur die wird ausgetauscht, wenn die Zahnräder des vom Kapital gesteuerten Verschleißsystems nicht mehr im Takt quietschen. Sie kranken an den Symptomen, die die Zivilisation als Syndrom mit sich trägt, und das wird sich nicht ändern. Mit dem mitgemeinten Blick interessiert sich die Mittelschicht einen feucht interpretierten Fisch um die Mechanismen, sie stiert gläubig wie gelernt nach oben und lernt: nichts.
Wie sich noch Abgehängte in verdübelter Lage für kleckernde Ausläufer der Mittelschicht halten, so meint auch der durchschnittliche Steuerzahler, seine Last sei anerkannt, da er nicht zu den Kulis des Turbokapitals zählen will, obwohl er genau die Aufgabe hat: zu sein, als ob. Die konsumistische Gesellschaft erlaubt ihm ein kleines Glück, das durch Schnäppchen, Subventionen und allerlei Ersatzhandlungen atmungsfähig bleibt, gleichzeitig wird bei ihr abkassiert, und hier beginnt die Hetze der neoliberalen Eliten zu wirken. Während sie sich noch im Glauben, ein erfolgsunwilliges Prekariat in die Dekadenz zu mästen, abstrampeln um den Trostpreis, fällt ihr Erspartes wie durch Zauberhand stets nach oben, denn sie kann sich ihren Verpflichtungen nun einmal nicht entziehen. Auch Reiche fahren mit ihrem kostspielig betankten SUV auf den Straßen, sie ziehen es nur vor sich an deren Finanzierung nicht übermäßig zu beteiligen, denn nur so haben sie noch ausreichend Mittel, um sich Privatschulen für ihren Nachwuchs zu leisten. Um sich an krummen Geschäften zu beteiligen, die Steuerfahndung und Staatsanwalt eher zuckungsfrei durchgehen lassen, um nicht sofort nach unten durchgereicht zu werden, reicht nicht einmal das Ersparte, wenn es das überhaupt geben sollte. Kein Investmentdienstleister würde dem Klempner mit drei Angestellten einen verschachtelten Deal mit eingebauter Straftat vorrechnen, weil es sich für ihn nur lohnt, wenn die Fallhöhe erheblich über der Bordsteinkante liegt. Er will ja für den Rest seines Lebens Mittelschicht bleiben.
Der Mythos vom Geld, das arbeitet, hat ganze Generationen verdorben; nicht das Geld, seine Leibeigenen buckeln für die Dividenden, die die Vermögenden vermögend machen. Schon preist man der Mittelschicht den Lebensstil der Reichen an: seien Sie einfach wohlhabend, dann passt es schon. Verzichten Sie auf Brot und Butter, dann können Sie sich eine Eigentumswohnung leisten, die dann zwar nicht Ihnen gehört, aber so geht’s in einem durchschnittlichen Casino nun mal zu: am Ende gewinnt immer die Bank. Faites vos jeux. Rien ne va plus.
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