Gernulf Olzheimer kommentiert (CDLXXXIX): Das Paradoxon des Glücks

8 11 2019
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Man sagt, es gebe überhaupt nur eine ehrliche Form von Bewunderung: Neid. Er war stets und ist noch die große Triebfeder, die den Hominiden mit immerhin tatkräftiger Aggression ertüchtigt, ein besseres Dasein anzustreben, Güter zu mehren, nicht eher zu ruhen, als die Übererfüllung des Plans es zuließe, um wiederum den Nachbarn, dem er nie das Schwarze unter den Fingernägeln gegönnt hat, vor Eifersucht in die Nähe einer Hirnembolie zu befördern. Das vom jeweiligen Sozialgefüge auf die eigene Person projizierte Prestige kommt fallweise noch dazu, bisweilen auch die Einbildung, es gäbe dieses Sozialgefüge überhaupt, kurz: einen Großteil der negativen Energie kanalisiert der gemeine Depp mit der unablässigen Tätigkeit, seine Nächsten aus reiner Bosheit auszustechen und sich selbst in den Vordergrund zu drängen, vollkommen gleichgültig, warum. Doch ist dieser Wohlstandsdrang je einmal ins Gegenteil umgeschlagen? Und funktioniert er in allen Fällen produktiv, wie es die Theorie fordert? Die Antwort ergibt sich aus der Frage.

Nicht jeder Wohlstand, sei er rein materiell als Vermögen oder fahrendes Gut greifbar, als Macht und Titel, Geltung oder Einfluss, macht auch so glücklich, wie es den Anschein hat; ab einer gewissen Stufe nivelliert sich das Seelenheil, es lässt sich nicht linear steigern wie der Umsatz eines Geschäfts, ja nicht einmal willentlich überdosieren. Bis zu einer gewissen Steigerung ist man glücklich, danach unglücklich, dass man nicht glücklicher wird. Noch sind die irdischen Ziele nicht gänzlich ausgeschöpft, der Fünft-SUV vor dem Dritthaus könnte noch immer mehr PS haben, die zehnte Zweitfrau einen teureren Drittpelz tragen oder besser zum Viertpelz der Drittfrau passen, aber es vermag die Liebe nicht zu vermehren, schon gar nicht die Zuneigung zu sich selbst.

Statt die Integration in die nächsthöhere Schicht anzustreben, weil man noch immer an das Märchen von der uneingeschränkten sozialen Mobilität durch hinreichenden Fleiß glaubt, beginnt der Depp sich nun weiter nach unten abzugrenzen und alles, was seine bisherige Situation ausgemacht hatte, mit System schlecht zu reden. Jeglicher Wohlstand, das Zufriedenheitsgefühl des Arrivierten zählt nun nicht mehr, weil die leise Ahnung dräut, dass es oben auf dem Berg irgendwann eng werden könnte, wenn es dort noch mehr Menschen mit nicht zu steigerndem Wohlsein geben sollte. Vor allem beginnt hier das Paradoxon zu wirken, die anderen, die nicht unter ähnlichen Bedingungen und möglicherweise mit mehr Anstrengung dasselbe Glück erlangt hätten, seien nicht durch Gerechtigkeit in diesen Zustand gelangt, sondern eben – durch Glück. Wer in einer kapitalistischen Weltordnung lebt, sollte nicht ganz ausblenden, dass rastlose Arbeit durchaus großen Reichtum erzeugt, allerdings nicht bei dem, der arbeitet. Besitz entsteht durch wenige, kurze Akte der Akkumulation, nicht selten durch den Vorteil, zur richtigen Zeit versterbende Verwandte in der Familie vorzufinden.

Nichts erklärt trefflicher, warum sich die Klötenkönige trotz einer stabilen wirtschaftlichen Lage sich nicht nach einer gesellschaftlichen und politischen Festigung sehnen, sondern Bürgerkrieg und Rassismus als Formen des selbstzerstörerischen Hasses zu einem Abwehrmodell gegen die eigene Lebenswelt schwiemeln. Wer mindestens seinen Zweit-SUV vor dem teilfinanzierten Einzelhaus in den autark zusammengezimmerten Carport stellen kann, der regt sich nicht über die Fettkarre vor der Nachbarwohnung auf; er schmeißt Brandsätze, weil er seine Weihnachtsreifen in der entchristlichten Abendlandswelt als Winterreifen kaufen muss. Es geht ihnen viel zu gut. Wohlstandsverwahrloste Waschweiber jammerlappen sich das bisschen Gemächt wund, weil sie langsam begreifen, dass die hedonistische Tretmühle sie um jede Steigerung ins Unermessliche zuverlässig bescheißt: es gibt keinen Weihnachtsmann, nicht jeder gewinnt in der Lotterie, wir werden alle sterben. Während der spätkapitalistische Hohlpflock noch weinend vor Wut tritt und tritt, sieht er die Unbilligkeit des Daseins, wie sie ihm in den dünnen Bart spuckt: der Bürgerkriegsflüchtling ist angstfrei, Erwerbslose schlafen unter der Woche aus, ein Aussteiger steigt einfach aus und ist nicht einmal mehr auf den Erst-SUV irgendeiner Knalltüte in Führungsposition neidisch. Hass!

Mit der Stillung grundlegender Bedürfnisse, die in der jeweiligen Situation auch als solche erkannt werden, lässt sich Wonne nicht mehr vermehren. In dieser existenziellen Erschütterung beenden viele ihre bürgerliche Existenz, meist durch Marschieren in die falsche Richtung, indem sie die alles umgebende Gesellschaft zu Klump hauen. Gut, auch so lassen sich in der Nähe zum Nullpunkt wieder ausgeglichene Verhältnisse herstellen. Am konsequentesten wäre es, diesen arg zweifelhaften Rotationsellipsoiden noch vor dem Durchschlagen der Klimakatastrophe kerntechnisch zu verseuchen. Keiner erbt mehr, ohne etwas dafür getan zu haben. Und seien wir ehrlich, wem würden das peinliche Selbstmitleid dieser Unglückspilze fehlen?