„Es gibt jetzt Bestrebungen, eine antifaschistische Einheitsfront aller demokratischen Parteien in der Bundesrepublik zu etablieren. Wissen Sie, ich finde das ganz okay, da wissen wir als Team Merz sofort, wo wir unser Feindbild aufbauen können.
Natürlich droht da eine große Gefahr von rechts. Die nehmen uns Stimmen weg, die wir für eine neue bürgerlich-liberale Koalition brauchen. Dass die FDP sich da nicht klar bekennt, macht die Sache auch nicht leichter. Eine Fusion mit den Nazis wäre doch wirklich kein organisatorisches Problem, und mittelfristig würde es die sogar davon bewahren, zum zweiten Mal aus dem Bundestag zu fliegen. Die bräuchten nicht einmal mehr mit den Grünen zu reden. Und wir auch nicht. Und wie gesagt, die AfD – das mögen zwar Leute mit verfassungsfeindlichen Absichten sein, aber hinter denen stecken ja auch Wähler. Und wenn jemand verfassungsfeindliche Absichten hat, muss das auch nicht immer gleich bedeuten, dass er sie in die Tat umsetzen will.
Thüringen war natürlich ein Versehen, wenn Sie so wollen: ein Betriebsunfall. Da haben wir aber nicht die AfD unterstützt, weil wir nicht gemerkt haben, dass das Nazis sind. Das muss irgendwie umgekehrt gelaufen sein. Auf jeden Fall haben wir da nicht erreicht, dass die Landesregierung an die Christdemokraten ging, weil uns erst nach der Wahl aufgefallen war, dass die gar nicht zur Wahl stand. Wenn man sich nicht mit Themen wie Demokratie oder Parlamentarismus auskennt und plötzlich eine Wahl vor sich hat, kann das schon mal passieren. Aber wir haben ja gleich gegengesteuert, indem wir den Linken die Schuld gegeben haben. Das hat mit Demokratie jetzt nichts zu tun, das ist eher so eine parteiinterne Tradition.
Mit Merz als Kandidat können wir dieses rechte Potenzial besser abschöpfen, als wenn wir ständig mit demokratischen Mitteln dagegenhalten. Damit kann der Wähler meist nichts mehr anfangen. Und das haben wir sicher auch ganz gut eingefädelt: das Volk braucht einen gewissen Freiheitsbegriff, das muss auch demokratisch aussehen, aber damit ist es dann auch getan. Diese ganzen anderen Ideen, mit denen uns die Rechtsrechten nerven, Volksentscheid und Zusatzrente für echte Staatsbürger, das ist doch nur eine Störung im Betriebsablauf. Wir bereiten doch die Zerstörung des deutschen Sozialstaats und die Übernahme der deutschen Wirtschaft durch die US-amerikanische Rüstungsindustrie nicht von langer Hand vor, um am Ende dieses Wählerpack wie Menschen zu behandeln. Ich meine, Merz ist ein asoziales Arschloch, aber dumm ist er nicht.
Weil er weiß, Gier ist die eine Triebfeder im Kapitalismus, hinter der sich die zweite versteckt: die Befriedigung, wenn es anderen schlechter geht als einem selbst. Dazu muss man Werte haben, am besten Börsenwerte. Moral stört da eher, aber das werden Sie bei Merz auch nicht finden, dass er von Moral überhaupt spricht. Höchstens als Anspruch an Gegner, denen man unfaires Verhalten vorwerfen kann, weil die sich an die Regeln halten. Manche Wähler reagieren da sofort, manche sogar auf lange Sicht, und das darf man als Machtpolitiker auf gar keinen Fall zulassen.
Natürlich Machtpolitiker, was hatten Sie denn gedacht? Sozialpolitiker kümmern sich um Soziales, Innenpolitiker um Inneres, Machtpolitiker sind an ihrer Macht interessiert. Das ist doch nichts Schlimmes. Schließlich mischt man sich damit nicht ständig in Angelegenheiten, die einen sowieso nicht interessieren.
Man muss das so machen wie ein Drogendealer. Der gibt seinen Kunden am Anfang auch nur eine kleine Dosis, und dann schüttet er sie mit Stoff zu. Klappt immer. Dieselbe Strategie hat uns schon einmal groß gemacht, erinnern Sie sich mal an die Geschichte Westdeutschlands: wir haben die Ossis so lange mit Turbokapitalismus vorgeballert, bis ihr Widerstand gebrochen war. Sie haben nichts von der Gefahr gemerkt, der Einmarsch auf der Route der Verfassung war ein Sonntagsspaziergang, weil die armen Schweine alle nur Deutschmark wollten für ihr bisschen Stolz. Genauso muss man heute die Abweichler behandeln. Es ist vielleicht nicht ganz so erstrebenswert, wenn ein paar Unionskollegen und der Rest der nationalen Bewegung einen neuen Holocaust für wünschenswert halten, weil sich seit 1989 wieder genug Publikum angesammelt hat, aber alle diese Bürger essen ja Steaks, wohnen in Einzelhäusern und kaufen regelmäßig neue SUVs. Wir sind für ein inklusives Deutschland, und das ist in erster Linie an den Mehrheiten orientiert, denen unser Parteiprogramm am Arsch vorbeigeht. Wenn die Börse immer noch funktioniert und rechtzeitig auf Rüstungsaktien umschwenkt, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Das ist ja das Lustige an diesen Börsennachrichten vor der Tagesschau, wer den Scheißdreck guckt, der hat keine Ahnung, und wer tatsächlich Aktien hat, den interessiert der Mist nicht. Und so ist es eben auch mit der Politik.
Falls Sie einen Gegenvorschlag haben sollten, immer heraus damit. Merz wird Ihnen zwar nicht zuhören, weil er mit argumentativer Gegenwehr intellektuell überfordert ist, aber das schätzt man gerade in rechten Wählerkreisen an ihm. Er kann sich ganz auf sein Bauchgefühl verlassen, das hat ihn bisher immer… – Können Sie vielleicht mal zu lachen aufhören, wenn der zukünftige Kanzler seine Rolle als Führer der deutschen Nation erläutert!?“
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