Gernulf Olzheimer kommentiert (DV): Der Zwang zum Glück

13 03 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wahrscheinlich war Hans bloß ein schlecht gewähltes Beispiel, weil er seinen Goldklumpen gegen Nutzvieh und schließlich gegen einen Wetzstein eintauschen konnte, der viel leichter im Brunnen zu entsorgen war als ein Pferd. Aber das war noch zu einer Zeit, als die Überwindung der materiellen Güter noch nicht als klinisch relevante Dummheit durchging und den Märchen eher selten ein marxistisches Etikett auf der Hinterseite klebte. Lieber Arm dran als Bein ab, scherzt der alte Knabe vor sich hin, positiv denken! Sollte er am Ende doch schon der stromlinienförmig gefeilte Meister sein, dem die Selfmade-Messiasse auf der Suche nach Erleuchtung hinterherkriechen? Und leiden nicht sie am meisten unter dem Zwang zum Glück?

Eine hochglanzlackierte Turbogesellschaft kann sich keine Schatten mehr leisten, und nichts liegt nun näher, als jegliches Scheitern den Scheiternden anzulasten: Krankheit, Armut, Schicksal. Hätten sie sich halt ihre Herkunft samt genetischer Disposition besser ausgesucht. Schnell stehen sie im sozialen Abseits, weil man den Misserfolg nicht mehr zeigt, gilt er doch als ansteckend, wenn man schon selbst gegen das Axiom verstoßen hat, dass alle alles schaffen können, wenn sie nur wollen. Glück aber ist Wille zur Macht, wie man ihn meist in besseren Familien mitbekommt, auf besseren Schulen oder mit etwas größeren Erbschaften.

Die antike Philosophie hatte noch vernünftige Ziele. Es galt, das Unglück möglichst zu vermeiden oder damit zu leben, dass es sich nicht vermeiden ließ – aus der Differenz von Ist- und Sollzustand wuchs noch kein diktatorischer Imperativ, dessen Sense sich nicht um die Wirklichkeit scherte und jede Rübe abhackte, die zufällig im Weg stand. Erst die Verwertungslogik, die alles den Reichen gibt, erklärt das Glück zur Norm und erhebt es in den Rang eines unbedingt zu erstrebenden Gutes; wer nicht erlöst werden will, stellt sich gegen die ganze Ordnung und wird eben mit der Mistgabel vom Hof gejagt, da er sonst den Zorn der Gottheit auf sich zöge, die sicherlich auch abfärbt, bis ins siebente Glied alles ausrottet, die Ernte verdirbt und die Börsenkurse stolpern lässt. Nicht zufälligerweise funktionieren Ersatzreligionen wie echte, sonst bräuchte man sie ja nicht.

Und eine Religion wäre keine, zeugte sie nicht auch Schweinepriester, die sich als gierige Gurus ein Geschäft daraus machen, verschwiemeltes Zeug als Weisheit von der Stange zu verscherbeln. Es wäre ja auch kein verordnetes Bedürfnis, würde es nicht jeder haben, der brav im Glauben lebt, aus eigener Schuld noch nicht zu den Siegern zu zählen, die die anderen unterjochen dürfen.

Endlich verfängt bei den geistig Unterkellerten der Wahn, dass ist, was sein soll – sie gaukeln sich so lange Wonne in Tüten vor und reden sich ein, dass alles, alles gut ist, bis ihre rosarote Brille sie ungebremst an die Wand klatschen lässt. Einmal nicht positiv gedacht, schon am Arsch, oder wie es im Selbstprophezeiungsmodus heißt: wer seine Krankheit nicht von der Backe kriegt, hat nur nicht verbissen genug gebetet. Schon wieder in der Falle, nur ist es diesmal die Existenz, die über ihnen zuschnappt. Und so bleibt ihnen nichts als die bei Freizeitheiligen beliebte Offenbarung, die man ihnen abnehmen muss, weil sie sie dreist vor sich hertragen: sehet, ich bin der bessere Mensch, also ab in den Staub, wenn ich vorüber schreite. Wer die Last der unaufhörlichen Suche nicht länger dulden will, erklärt sich einfach für perfekt, um unter den anderen Blendern nicht mehr aufzufallen. Ein joviales Grinsen nagelt sich wie von selbst in den Gesichtsversuch, es darf nur keiner das Preisschild entdecken. Die Hauptsache ist, sie nehmen einem alle diesen Segen ab, neidzerfressen, missgünstig und übel gesonnen, weil sich das Schöne so ganz ohne Kontrast nicht lohnen würde.

Wenige aber merken, dass die ärgste Eifersucht der Vermögenden den scheinbar Unglücklichen gilt, die bereits die Zufriedenheit kennen und es zu schätzen wissen, wenn ihnen einer aus der Sonne geht. Die Sucht nach Selbstverwirklichung hat sie noch nicht zu Wegwerfhelden gemacht, die sich gegenseitig auf die Füße treten, weil nur einer als erstes ankommen kann, denn Glück heißt in ihrer Vorstellungswelt: mehr Glück als bei anderen. Es ist ein stolzloses Gedeihen, das auch nicht im Gegensatz stehen darf zu den eigenen Misserfolgen, die man niemals zugeben würde. Dieser naive Begriff von Nutzen verdient bei allem Zwang fast Mitleid, fast, fußt er doch zutiefst auf einem Dogma von Freiheit, die er nur sich selbst zugesteht, während er für andere nicht verantwortlich sein will. Krachend haut hier sein Fallbeil zu. Schönes Leben haben Sie da, raunt Freund Hein, wäre doch schade, wenn das jemand kaputt machen würde. Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen lösen sich in lustige Wölkchen auf, mehr war nicht drin. Noch hätten sie Zeit für ein unvernünftiges Verlangen, das sie auch nicht an anderen messen müssen. Nicht einmal Kant hievt sie aus der Grütze. Vielleicht hätten sie den Unsinn finden können. Oder umgekehrt.