Mundschutz

6 04 2020

„Nächsten Donnerstag, lassen Sie mich gerade mal nachschauen, haben wir um halb zehn in Hannover, relativ zentral, einen Supermarkt, und dann um zwei Uhr eine Arztpraxis in Jena. Braunschweig ist jetzt nicht so weit weg, wir könnten so gegen zehn Uhr fünfundvierzig einen kurzen Termin im Heim reinquetschen, aber dann muss da alles steril sein. Und der Herr Bundespräsident bleibt auch maximal fünf Minuten.

Nein, wir koordinieren das ja nur. Dass Sie den Herrn Bundespräsidenten bekommen, liegt auch nur am Datum. Mittwoch könnten wir eventuell auch Herrn Scholz schicken, der hat ab Mittag frei und wäre im Großraum Berlin-Brandenburg verfügbar. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf ihre Politiker, und Sie hatten eine amtierende Spitzenkraft angefordert, deshalb nehmen wir die auch zuerst. Wenn Sie beispielsweise bloß eine Müllverbrennungsanlage renoviert haben und jetzt wiedereröffnen, dann schicken wir Ihnen Lindner vorbei. Der darf dann an der Bar die Journalisten anpöbeln, danach zieht er sich die Birne dicht und Sie haben für den Rest des Tages ihre Ruhe. Wobei, Sie haben recht. Wozu lädt man sich die Knalltüte dann überhaupt ein.

Also wir sind keine Event-Agentur. Das dürfen Sie nicht verwechseln. Sie bezahlen ja nichts für die Politiker, das ist ihr Job. Dafür müssen Sie halt ein paar Abstriche machen, wenn es um Wichtigkeit und Verfügbarkeit geht. Wenn Sie einen Supermarkt betreiben, dann haben Sie unserer Ansicht nach ein vitales Interesse, dass Sie Ihr Personal so gut wie möglich in die Presse bringen. Bundespräsident und Bundeskanzlerin sind da angebracht, und wenn Sie ein Foto davon haben, wie Frau Merkel in der Schlange steht, Toilettenpapier kauft und Ihrer Kassenkraft Beifall klatscht, dann bringt Ihnen das wenigstens einen Monat, in dem Sie Ihre Löhne so mies auszahlen können wie bisher. Das ist auch in unserem Interesse. Stellen Sie sich in dieser Lage mal vor, das Lohngefüge verrutscht, wir haben bei den Sozialleistungen plötzlich höhere Sätze, es gibt auch viel mehr Aufstocker – das kann es nicht sein. Da holen Sie dann lieber alle paar Monate mal eine politische Figur, dann haben Sie Ruhe.

Von Herrn Heil möchten wir in dieser Lage ausdrücklich abraten, er sagt Sachen, die sollte man eigentlich nicht sagen. Er kündigt eine Überprüfung des deutschen Gesundheitssystems an – was erst einmal nichts heißt, aber große Erwartungen weckt – und verkündet dann, dass wir die Sozialstaat so lassen müssen, wie er jetzt ist. Zuletzt hatte er sich auch offen gezeigt, die von Karlsruhe angemahnten Gesetzeskorrekturen zu ignorieren, weil ihm Geld wichtiger ist als die Verfassung. Das wäre an sich eher ein Kandidat für die zweite Garnitur, aber bei der aktuellen Nachfrage lassen wir ihn lieber in der ersten. Es muss ihn ja keiner buchen, er hat sich das selbst ausgesucht, und wer nicht will, der hat schon.

À propos, Herr Spahn. Ungeeignet für Kliniken, für Arztpraxen, alles, was mit Gesundheitswesen zu tun hat. Wir hatten ihn neulich mal für einen Termin im Sanitätshaus, da waren wir alle erleichtert, dass er nach zwei, drei Minuten ohne lebensgefährliche Verletzungen wieder vom Gelände entfernt werden konnte. Bei ihm können Sie auch sicher sein, dass er nur mit Mundschutz auftritt. Nicht wegen der Infektion. Aber wenn er schon seine dumme Klappe aufreißt, dann müssen Sie nicht auch noch hören, was da rauskommt.

Gut, wir probieren es mal mit Herrn Söder, der ist auch noch frei. Gegen elf Uhr? Etwa eine halbe Stunde Programm, er nagelt in allen Räumen auch noch ein kostenloses Kruzifix an die Wand, wenn Sie ihn lassen. Andere schreiben halt Autogramme, er nagelt. Das wirkt komisch, aber Sie werden sich schnell an ihn gewöhnen. Möglicherweise so sehr, dass es Ihnen gar nicht auffällt, wenn er plötzlich Bundeskanzler ist.

Ja, Sie lachen, das Geschäft ist hart, und das hat nicht nur mit den Terminplänen dieser Damen und Herren zu tun. Das spiegelt die ganze Krise wider, vielmehr: die letzten zwanzig Jahre, die der Krise vorangegangen sind. Wir kriegen die Rechnung für die Fehlentwicklung präsentiert, die wir sehenden Auges unterstützt haben. Das politische Personal, das da seine Sonntagsreden unter sich lässt, ist nicht vom Himmel gefallen. Das ist die Auslese dessen, was wir gewählt und damit in die Ämter befördert haben, in denen sie nun stur herumhocken, durch brechreizerregende Inkompetenz brillieren und mit dummem Gefasel auffallen. In den Ministerien sind die Leute doch vom Abteilungsleiter abwärts froh, wenn sie einen ganzen Tag lang diese Brüllaffen nicht zu sehen bekommen. Und da kommen wir ins Spiel. Wir briefen den Redner – Ort, Location, dann noch eine kurze Beschreibung, ob gerade zehn Personen vom AfD-Außendienst abgeknallt wurden oder mangelnder Infektionsschutz im Pflegeheim zu einer größeren Anzahl an Todesfällen geführt hat – und dann kriegen Sie warme Worte. Wäre ja auch doof, wenn da der Präsident steht und sagt: ‚Wir sind hier als Deutsche‘, oder: ‚Ich bin der festen Überzeugung, dass das Leben weitergeht, und das will ich Ihnen hier und heute, wo wir als Bürger dieses Staates, der sich auf Sie verlässt, auch und gerade in dieser Krise, die schwer ist, aber nicht nur, sondern auch ermutigend, für mich, für alle, die das heute, in diesem Lande, und das sind wir alle‘.

Klöckner? Gut, warum nicht. Natürlich mit Mundschutz. Wenn Sie eh bloß ein paar Minuten Gerede brauchen, ist es egal, ob Sie Spahn nehmen oder Klöckner. Kostenlos ist beides. Und umsonst.“