Kollektives Umdenken

8 04 2020

„Es ist halt manchmal kompliziert, aber es besteht kein Grund, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken. Diese Situation ist ungewöhnlich, da haben Sie wohl recht, aber nochmals, wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren, wir müssen wieder Normalität zulassen. So ein Krieg bringt Einschränkungen mit sich, das sollten wir jetzt einfach mal akzeptieren.

Selbstverständlich ist die Situation gerade sehr unbefriedigend. Die Bevölkerung hockt ganze Tage in den Luftschutzkellern, abends kann man schon gar nicht mehr raus, alle wollen nur, dass es endlich vorbei ist. Da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Jeder will, dass der Krieg aufhört. Wir auch, das können Sie mir glauben. Wir haben zwar eine ganz gut florierende Kriegswirtschaft, auch wenn es uns anfangs gar nicht so leicht fiel, unsere Produktion umzustellen, aber da sehen Sie mal, was man alles hinbekommt, wenn man nur will. Für uns war das auch nicht einfach – also halten Sie sich mit Ihrer Kritik mal ein bisschen zurück, ohne uns wären Sie ja gar nicht überlebensfähig.

Wir haben doch auch Verluste, das ist gar nicht zu verleugnen. Aber gerade deshalb muss es doch wieder Normalität geben. Ein Beispiel: die Leute kaufen sich im Moment nicht gerne neue Autos, da ist immer die Angst, dass so ein neues Auto gleich beim nächsten Bombenangriff getroffen wird, die Versicherung zahlt nicht, Auto weg, Geld weg, es ist sinnlos. Was machen Sie da? Da brauchen wir ein kollektives Umdenken: neue Autos kaufen, das stützt die Wirtschaft. Vielleicht rentiert sich das für den einzelnen Verbraucher momentan nicht, aber die Wirtschaft an sich, die profitiert doch davon, und wenn Sie ein bisschen Gemeinsinn haben, dann müssen Sie doch sagen, dass wir alle auch mal an die Wirtschaft denken sollten, oder ist das für Sie etwa zu kompliziert?

Ja, den Krieg beenden, das stellen Sie sich jetzt ein bisschen einfach vor. Solche Entscheidungen sollten Sie lieber den Profis überlassen. Auf dem Niveau diskutiere ich nicht. Also nicht mit Ihnen.

So war das jetzt nicht gemeint, ich würde Ihnen schon gerne erläutern, welche Vorteile das hätte, wenn wir jetzt die Schutzmaßnahmen zurückfahren und nicht vor dem Krieg kapitulieren. Der ist ja nun da, also muss man sich mit ihm auseinandersetzen. Dasselbe ist es doch mit der Immobilienbranche. Viele verzichten jetzt auf Neubauten, viele sogar auf Sanierung, Ausbau, Modernisierung von Altbau oder Wohnungsbestand. Klar, das kann Ihnen beim nächsten Flächenbombardement alles um die Ohren fliegen. So ist das eben. Aber wer sagt Ihnen denn, dass es Ihnen um die Ohren fliegen muss? Der Blitz schlägt auch nicht zweimal in denselben Baum ein, und selbst, wenn: das ist halt statistisch gesehen das eine Prozent, das die Volkswirtschaft schnell wieder aufholt, wenn’s bei den anderen passt.

Wenn die Bevölkerung jetzt wieder ganz normal zur Arbeit fahren würde, dann hätten wir bald eine Kriegswirtschaft, die sogar Wachstum hervorbringt. Wenn Sie mir nicht glauben, es gibt derzeit Firmen, die haben ihre Umsätze kontinuierlich gesteigert, und warum? weil sie marktorientiert produzieren, weil sie nicht jammern, sondern auch in dieser Lage dafür sorgen, dass Arbeitsplätze entstehen, Werte, Rendite. Wenn Sie Aktien zeichnen, eventuell auch Kriegsanleihen, stützen Sie die Volkswirtschaft und retten Ihren eigenen Arbeitsplatz. Meinen Sie nicht auch, dass das besser ist, als ewig über den Krieg zu jammern? Stimmt’s, oder habe ich recht?

Menschenleben? Meine Güte, ich will gar nicht verleugnen, dass ich auch manchmal so meine sentimentalen Anwandlungen habe, und es ist schon unangenehm, wenn man miterleben muss, wie andere Menschen etwas verlieren. Zum Beispiel ihr Leben. Aber volkswirtschaftlich gesehen, und das ist ja die Perspektive von uns Profis, da kann man so einen Verlust doch auffangen. Das haben wir in zwei bis drei Jahren locker wieder drin.

Da haben Sie sich jetzt verrechnet, Sie gehen von falschen Zahlen aus oder von einem falschen Modell, so genau kann ich das jetzt nicht beurteilen. Wenn wir unsere Schutzmaßnahmen beibehalten, müssen wir uns über einen langen, langen Zeitraum gedulden, bis wir das normale Wachstumsniveau wieder erreicht haben. Das hat mit Psychologie zu tun, das versteht jemand wie Sie nicht – wenn wir zwei bis drei Jahre warten müssen, bis die Aktien wieder so viel Wert sind wie vor dem Krieg, dann passieren da möglicherweise Dinge an der Börse, die wir jetzt noch gar nicht absehen können, wir wissen nur, dass das schlimm wird, weil mit den Börsenkursen ja die ganze Wirtschaft betroffen ist, und das wird schrecklich.

Also dann doch lieber Krieg, oder? Nein, das war ein Scherz. Wir würden auch lieber wieder auf Friedenswirtschaft umschwenken, schon deshalb, weil man damit nachhaltiger verdient, aber solange Krieg ist, einfach nur die Füße stillzuhalten, ist das denn wirklich sinnvoll? Überlegen Sie mal, was Sie machen, wenn jetzt plötzlich der Krieg aus ist – es gibt keine Autos, keine Häuser, wir sitzen vielleicht auf einem Riesenberg Granaten und Bomben und so Zeugs, das man überhaupt nicht mehr gebrauchen kann, und das alles nur, weil wir jetzt eventuell nur zu Hause im Luftschutzkeller hocken oder aber wie die Schlange aufs Kaninchen starren und uns total verrückt machen, weil wir uns nur noch mit Krieg und Krieg und noch mal Krieg beschäftigen. Ist es das, was wir alle wirklich wollen?

Übrigens, wenn Sie Munition brauchen, ich habe noch hunderttausend Schuss, für Sie natürlich zum Vorzugspreis. Für später. Man weiß ja nie.“