Gernulf Olzheimer kommentiert (DXII): Wert und Habitus

1 05 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Überall hocken sie in ihren engen Kammern, meist in guter landschaftlicher Lage, doch trotzdem schlecht belüftet: ältliche Männchen mit Alpha privativum, ausgestattet mit dem Privileg, von der Außenwelt nur dann etwas mitzubekommen, wenn sie es darauf anlegen. Also nie. Sie halten sich für systemrelevant, da sie nur innerhalb ihres eigenen Systems Relevanz haben könnten. Schon dichten sie sich Transzendenz an, ja ein Heilsversprechen: dass die nur in ihrem Kopf existierenden Objekte, die ihren selbst definierten Status sichern sollen in einer Nische des eigenen Systems, zu besseren Menschen machen, wenn man sie nur besäße. Dass es sich bei ihren Statussymbolen lediglich um die demonstrative Form von Geltungskonsum handelt: geschenkt. Doch sie halten ihr Distinktionsgehabe im Ergebnis für einen Wert. Und sie sind gewillt, ihn gegen alles zu verteidigen.

Von außen betrachtet sieht der Status, den die ihn sich zuschreibenden Personen leistungsfrei und ohne nennenswerte Nachhaltigkeit vor sich hertragen als die erhabene Monstranz magischer Selbstwirksamkeit, aus wie beliebiges Spielwerk, ein goldener Ring, dessen Träger mächtig ist – nicht, weil das Ding verliehen ist und faktisch ohne Sinn, sondern als das jenseitig aufgeladene Etwas, dessen Strahlung erst die Bedeutung gibt. Nun lässt sich der Preis von Machtinsignien diskutieren, sie verhindern allerdings die offene Einschätzung, indem sie jedes dieser Symbole in seiner albernen Zufälligkeit zum Wert überhöhen, der eine ganze soziale Ordnung zu tragen vermöchte: den Sportwagen als Freiheit, ein Interkontinentalflug als Leistungsfähigkeit, der Verzehr von Schneckenei und Schildkröten als Geschmack. Für die eigene Minderheit muss es sich schlimm anfühlen, wenn diese Schrullen als soziale Norm auftreten.

Da sie jedoch gleich in den Rang von Werten befördert werden, wo nur die Aluhütchenspieler der oberen Kaste sie wahrnehmen, enthüllen diese an sich wertfreien Objekte ihre Wertlosigkeit. Dass der Besitz eines Sportwagens theoretisch moralische Vorstellungen von Fleiß und Leistungsbereitschaft impliziert, spielt nicht nur keine untergeordnete, es spielt gar keine Rolle; die Tatsache des Besitzens ist bereits Wert an sich und wird dann zur Moral umgeschwiemelt, die man anderen, die eben dies und das nicht haben, können, wollen, anspricht. Das erhebt, und es verleiht das gute Gefühl, sich für die Sklavenmoral der anderen nicht weiter interessieren zu müssen.

Eine Welt als Wille statt Wertvorstellung mag funktionieren, aber auch nicht mehr als das. Sie wird früher oder später bei den Umdeutern das mulmige Gefühl auslösen, dass ihr Status gar nicht mehr sicher ist: mehr und mehr Individualisten haben nicht nur kein Interesse mehr an Sportwagen, sie pfeifen aufs Auto, finden Schneckeneier zum Kotzen und halten den plärrenden Parvenü, der sich selbst für die Blaupause zur Erschaffung neuer Gottheiten hält, für ein verzichtbares Übel. Was bliebe dem Dünnhäuter, der sich selbst nicht mit dem Understatement des Adels schmücken kann, da er auf Protz gekocht ist, und der also immer die müde Nonchalance fürchtet, mit der die echten Mächtigen ihn auf hoher See über die Reling träten, weil ihnen das Gekeife eines pissigen Köters auf die Plomben ginge, was bliebe ihm, wenn nicht die Abwertung derer, die seinen Habitus nicht teilen, weil sie dazu nicht imstande sind. Leichter wäre es, die zu schmähen, die freiwillig verzichten, sich nicht an Vorschriften halten oder aber bewusst in Opposition zur zivilisierten Gesellschaft stehen, aber die Gecken gehen den schweren Weg, bis zur Erkenntnis, dass für den rassereinen Lummerländer alle, die nicht von rassereinen Lummerländern in Lummerland geboren wurden, als minderwertig gelten dürfen. Im Zweifel gilt für den unrasierten Versager in der Bäckerschlange sogar der einfache Augenschein, weil er nur Lummerländisch kann.

Die Statuspanik bricht aus, wenn die restliche Gesellschaft den Emporkümmerlingen zeigt, dass ihre zunehmend peinlichen Versuche, sich Geltung zu verschaffen, sie im Bedeutungsprekariat der sozialen F-Prominenz zementiert. Die Lautstärke nimmt nicht ab, ihr Distinktionsvermögen treibt sie nur dazu, der gesamten Bevölkerung vorzuwerfen, dass sie keine Werte mehr an anerkennen. Wer auch immer nun keine Schneckeneier mehr lutscht, wird zum Sozialisten erklärt, wer nicht dreimal in der Woche fliegt, ist wirtschaftsfeindlicher Ökoterrorist oder hat Verwandte, die für Volk und Vaterland an die Wand gestellt gehören. Was bleibt, wird trotz allem die Entwertung von Menschen sein, wie sie für diese regierende Unterschicht notwendig ist, um nicht täglich an der eigenen Irrelevanz zu krepieren.

Was Werte auszeichnet, ist nicht allein ihre Überzeitlichkeit, die alle die Brüllaffen ausschließt, denen es wumpe ist, was nach der nächsten Sintflut kommt; es ist ihre Teilbarkeit, die nur scheinbar im Trotz steht zur konstituierenden Kraft für jede noch zu errichtende Ordnung. Aber was kann man schon erwarten von einer parasitären Bande, die nur dann überlebt, wenn man sie ablegt im gemachten Nest.