„Langsam!“ Der Mann ließ sich nicht aufhalten. Wie im Fieber räumte er die ganze Palette leer und schmiss alles in den Einkaufswagen. Doktor Klump zog in weg. „Sehen Sie sich doch das Schild an“, sprach er eindringlich. „Eine Packung pro Person.“ „Will aber!“ Der Patient stampfte mit dem Fuß auf, und schon war der Wagen voll Toilettenpapier.
„Wir haben hier einen sehr schwierigen Fall“, stöhnte der Therapeut. „Als die Pandemie ausbrach, saß er gerade mit etwas Schnupfen zu Hause und musste zusehen, wie sämtliche Nachbarn Berge von Klorollen mitschleppten.“ Der Mann saß heulend auf dem Fußboden und klammerte sich an ein Paket vierlagiges Papier, extraweich. „Will aber!“ „Ein paar Freunde haben ihn mit Recyclingware aus dem Internet versorgt, aber er hat nie einen richtigen Hamsterkauf mitgemacht.“ Ich nickte erschüttert. „Das muss ein traumatisches Erlebnis gewesen sein für ihn.“ Doktor Klump schloss stumm die Augen.
Ein recht kräftiger Pfleger schob einen äußerst renitenten Rehabilitanden durch die Gänge dieses täuschend echt nachgebauten Supermarktes. „Ich mag kein Gemüse!“ Er schmiss mit Konserven um sich. „In den ersten Tagen hatten wir noch Gläser“, bekannte Klump. „Die Sachschäden waren einfach zu hoch, deshalb haben wir alles gegen Blechdosen ausgetauscht.“ Eine große Portion Linsensuppe flog durch die Luft. „Will Nudeln!“ Der Assistent hatte seine Mühe, aber schließlich gelang es ihm doch, ihn zu Boden zu drücken. Von dort aus hatte er eine hervorragende Sicht auf zwanzig Regalmeter feine Fertiggerichte und Büchsenobst. „Nudeln“, röhrte der Mann, „Spaghetti! Nudeln!“ Er musste riesige Kräfte entwickelt haben, jedenfalls gelang es ihm tatsächlich, den muskelbepackten Aufseher von sich wegzuschieben. Jauchzend warf er sich in einen Tisch mit Teigwaren, der polternd unter seinem Gewicht zusammenbrach.
„Das bedarf sicher noch der einen oder anderen Sitzung“, stellte ich fest. Doktor Klump nickte. „Es ist keine einfache Aufgabe, und wir stehen noch ganz am Anfang.“ Der Klopapierkäufer lud derweil eine Tüte Mehl nach der anderen in den Korb. „Sie sind schwer traumatisiert, unser letzter Kandidat zum Beispiel hat sich sechs Wochen lang nur von Nudeln mit Ketchup ernährt – jede andere Kost würde bei ihm zu schweren Magenproblemen führen, ganz zu schweigen von der Sucht, die das auslöst.“ Im Nebengang balgten sich zwei ältere Damen um haltbare Milch. „Wir müssen diese Menschen jetzt behutsam, aber entschieden wieder in die Normalität zurückführen, denn was nützen die geöffneten Läden, wenn die Kunden nicht wie vorher einkaufen wollen?“ Ich schwieg betroffen.
Der Pfleger stand schwerfällig auf und klopfte sich den Staub vom Kittel. Im Eingangsbereich lärmte ein junger Mann, der partout keine Maske aufsetzen wollte und nicht in den Laden gelassen wurde. Insgesamt drei Kräfte waren beschäftigt, ihn von den Einkaufswagen fernzuhalten. Doktor Klump atmete tief ein. Ich war etwas skeptisch bei der Einladung gewesen, aber der Schein trog nicht. Diese Therapie war wirklich notwendig.
Doktor Klump räusperte sich umständlich. „Es ist wirklich nicht einfach, denn diese Menschen haben eine enorme Kränkung erfahren.“ Er schob sich die Brille zurecht. „Sie haben sich lange auf diesen Augenblick vorbereitet, manche haben ihre Keller bis unter die Decke mit Dosen vollgeräumt, sie haben damit gerechnet, dass nach dem atomaren Feuersturm die höchste Erhebung zehn Zentimeter oberhalb ihrer Einstiegsluke liegt, und dann steigen sie aus, schießen sich den Weg frei, räumen die Leichenberge weg und sind die neuen Herren.“ Eine der beiden älteren Damen hatte sich den Nudelmann geschnappt und hieb ihm den Stock ins Gesicht. „Und so sieht also die Wirklichkeit aus“, sagte ich. Klump nickte. „In der Zwischenzeit waren alle Geschäfte offen, keiner ist verhungert, die Amateure haben sich einen Dreck geschert um diese Untergangsfanatiker, und nicht mal die Welt wollte untergehen. Sie haben sich buchstäblich für nichts und wieder nichts angestrengt und wurden von den anderen ganz einfach ignoriert.“ Die Dame hatte ihn in den Schwitzkasten genommen, die Nudeltüte entglitt seinen zuckenden Händen. „Und das Schlimmste ist, dass die anderen sich weiterhin solidarisch und kooperativ verhalten. Kein Blut und kein Krieg. Sie wollen nicht so sehr wie ihren verdammten Weltuntergang, aber der kommt nicht.“ Der Nudelmann stellte sich einfach tot. „Meine Befürchtung ist, dass sie ihn so sehr wollen, dass sie ihn schon herbeiführen werden. Wie auch immer er aussehen wird.“
Der Klopapiermann hatte leichte Fortschritte gemacht und konnte inzwischen einzelne Dosen aus dem Regal entnehmen. Konzentriert und mit sehr starrem Blick fuhr er den Einkaufswagen haarscharf am Nudelmann vorbei. Fast hätte er ihn überrollt. „Wir werden da noch viel Zeit brauchen“, murmelte Doktor Klump. „Hoffentlich haben wir nicht zu schnell wieder eine normale Welt, mit der sie nicht umgehen können. Aber ich denke, das wird nicht passieren.“ Ich blickte ihn fragend an. „Erst mal kommt jetzt die zweite Welle. Und dann schauen wir mal, um wie viel schlimmer danach alles sein wird.“
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