Gernulf Olzheimer kommentiert (DXXIII): Der Zug der Idioten

17 07 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Man kann ihnen viel vorwerfen, aber im Wesentlichen blieben sie sich immer treu. Oder wie sonst sollte man es nennen, dass Ugas Sippe immer wieder trockenes Holz in der Nähe des gemütlichen Feuers innerhalb der Höhle aufbewahrte, das nur zu schnell in Flammen aufging und für ein bisschen Bequemlichkeit die komplette Behausung samt des Nachwuchses abfackelte. Zur Steigerung der Ernte griff der Hominide nicht nur zur sattsam bekannten Buntbeere, sondern klaubte auch allerhand Zeugs am Wegesrand ab, woraufhin der Kalorienbedarf für die dezimierte Familie sich messbar senkte. Ganz ohne Furcht nutzte die Bande auch den Weg am westlichen Hang, der nach starken Regengüssen munter bröckelte und den freien Fall in die sanften Täler freigab – Gleitschirmflieger wissen diese Landschaft noch heute zu schätzen, haben aber die weniger harte Landung. Sie sehen das Verderben, aber sie halten die kausalen Zusammenhänge für Singularitäten. Jedes mal wieder, vor der Erfindung der Sprache und bis in die Gegenwart. Der Zug der Idioten marschiert ungehindert durch die Zeit.

Der Energieaufwand, mit dem reale Gefahren abgewendet werden könnten, wird fleißig genutzt, genau die Gefahren zu ignorieren, und dann, wenn sie augenscheinlich vor allen stehen, sie weiterhin zu leugnen. Dies scheint das Grundproblem der Erkenntnistheorie, mit den Schimmelhirnen der bereits verbrauchten Generation in die Jetztzeit zu wanken in der steten Hoffnung, dass sich durch Zufall die Naturgesetze verändert haben. Natürlich ist der Mensch Risiken ausgesetzt, siedelt er doch von alters her in so frucht- wie furchtbarer Nähe der Vulkane, die ihn fördern und auslöschen. Allein der arttypische Intellekt und seine intermittierende Lernfähigkeit sorgen dafür, dass er auch alternative Möglichkeiten in Betracht zieht. Aber nicht immer.

Ein Musterbeispiel für die verschwiemelten Vorstellungen von Unterkomplexität ist das stetige Hereinfallen auf die Denkmuster des Faschismus in Gestalt einer fälschlicherweise als konservativ verstandenen Gesellschaftsentwicklung. Reichlich Bauernschläue und einäugiger Zweckoptimismus helfen dem Nappel, noch letzte Rest von Geist zu plätten, und schon geht der Ritt wieder los, wie er immer schon aussah: sein Plan, die Vorteile des Totalitarismus ausnutzen wollen, ohne aber seine tödlichen Gefahren in Kauf nehmen zu müssen, geht erwartungsgemäß schief und endet in einer Katastrophe, die es nach hastigen Berechnungen der Berater gar nicht hätte geben dürfen, worauf ein paar Exorzisten den Schutt beseitigen und sich auf die nächste Runde freuen.

Das Verschieben von Gefahren auf vermeintlich beherrschbare Lösungen birgt den großen Fehler, dass damit meist ein früher Zustand vor der Havarie gemeint ist, als könne man einen Tsunami mit zehn Minuten mehr Zeit zum Fliehen noch ungeschehen machen. Idioten erkennen nicht, wann Kipppunkte erreicht sind und was diese für die Entwicklung bedeuten. Als ob vorsichtiges Vorantasten ganz am Rande des Strudels Schutz brächte, entwickeln die Bescheuerten eine Art von Gottvertrauen, die an Realitätsallergie auf klinischem Niveau grenzt. Dazu entwickelt gerade die populistische Schicht, für die noch immer alles gut ausging – meist war sie erst nach dem letzten Desaster geboren oder gar nicht von einem großen Unglück betroffen – eine Verachtung der Gelehrten, die ihresgleichen sucht. Es muss eine kognitive Verzerrung geben, die den sattsam bekannten Dunning-Kruger-Effekt weit hinter sich lässt und die Stars der Bräsigkeitsliga zu Meinungsführern macht, deren Dämlichkeit die ganze Gesellschaft an die Wand fahren lässt. Der Zug der Idioten klingelt an jeder Tür, und er findet jede Menge Gefolgschaft.

Diese kollektive Fehlleistung lässt sich mühelos auf viele andere Dummheiten übertragen. Solange die Einkaufszentren und Freizeitparks noch nicht abgesoffen sind, dieseln wir beschwingt über die Autobahn. Wenn noch keiner in der Familie sein pandemiebedingtes Frühableben zelebriert hat, muss man Freizeitparks und Einkaufszentren auch nicht mit Stofflappen vor dem Gesichtsübungsfeld betreten. Die Deppenpolonäse wälzt sich behäbig durch die von Passivität geprägte Zusammenrottung der Zufallsgeburten, denen alles außerhalb ihres Körpers sowieso gleichgültig scheint, es sei denn, sie hätten dafür bezahlt.

Eine gewisse Meisterschaft hat der Mensch darin erworben, seine Art vor den bizarrsten Folgen gemeinsam praktizierter Torheit zu schützen, indem er eine Reihe bemerkenswert primitiver Knalltüten in herausgehobene Stellungen wählt, um mit ihnen auch gleich den geistigen Dreckrand der Spezies aus der Inkarnation zu kärchern. Bei konstanter Gründlichkeit könnte das gelingen, doch mangelt es vielen Teilnehmern am Populationsexperiment an der erforderlichen Kooperationsbereitschaft, von der Fähigkeit zur Mitarbeit ganz zu schweigen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich diese Spezies in einem Arbeitsgang komplett selbst beseitigt, alle Voraussetzungen dazu sind optimal erfüllt und das Procedere ist lückenlos dokumentiert. Was man uns auch vorwirft, darin bleiben wir uns treu.