Gernulf Olzheimer kommentiert (DXXXII): Die wissenschaftliche Sprachbarriere

18 09 2020
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Eines schönen Tages, der so finster gar nicht war, wie man sich heute das Mittelalter vorstellt, da schlug Meister Godehard seinem Lehrjungen auf die Schulter und machte ihn mit der wichtigsten Weisheit des Gewerks vertraut, das bis auf unsere Tage seine Gültigkeit besitzt: querstiebige Wunzen immer schöllig abknörzen, weil sonst die Raufen sich verhuddern. Seither haben wir die Kernkraft entdeckt, sind zum Mond geflogen, bestellen Obst und Fahrräder im Internet, sehen ein paar Deppen dabei zu, wie sie hauptberuflich mit Autos immer im Kreis herumfahren, und kippen unseren Müll ins Meer. All dies geschieht aus tiefem Unverstand, da wir die Zusammenhänge des Lebens nicht recht kapieren. Doch kein kluger Mann, kein Handwerker und keine Professorin, würde aus heiterem Übermut je auch nur eine querstiebige Wunze nach Gefühl und Wellenschlag abknörzen. Die Folgen wären immens, nicht sofort ersichtlich, mittelbar aber katastrophal. Wie viel Jammer, Pein und Ungemach ließe sich verhindern, würden wir die klaren Worte der geistigen Vorbilder für Gelehrtheit halten, statt ihnen Simpelei zu unterstellen? Sind wir nicht alle Opfer der wissenschaftlichen Sprachbarriere?

Wo immer Fachleute sich auf einem Haufen befinden, müssen sie sich über die wichtigsten Dinge auf diesem Planeten unterhalten. Erst durch eine lebhafte Diskussion, dass das Geräusch dem gehört, der das Federwild aufbricht, wird die an sich selbstverständliche Regelung vom Waidmann zum anderen nochmals bekräftigt – regelmäßig, wie der Jurist anmerkt, da es überdies billig ist. Der Heizungsbauer denkt sich seins, während Koch und Coiffeur um die Wette blondieren, der Bergmann eine Pfeife bohrt. Nichts ist für den Zusammenhalt in der Gruppe besser als gemeinsames Vokabular, das Sinn stiftet und bisweilen die Zaungäste, die mitreden wollen, es aber nicht können, ausschließt. Außerdem würde es dem Arzt maximal auf die Plomben gehen, statt ‚Hypovolämischer Schock‘ jedes Mal eine Kurzgeschichte zu erzählen, damit die Pfleger wissen, ob es sich noch lohnt, die Ärmel hochzukrempeln. Die Sprache ist eine Übereinkunft synchron tickender Individuen, die sich die Welt ein bisschen einfacher machen wollen, etwas genauer und nicht ganz so unsicher. Ein wesentlicher Prozess der Wissensdifferenzierung besteht darin, unterschiedliche Sachverhalte mit unterschiedlichen Begriffen zu benennen, auch wenn die Alltagssprache regelmäßig die juristische Regelmäßigkeit verkennt. Sie stellt ein Modell her, mit dem sich die Welt erkennen und beschreiben lässt, und sei sie noch so theoretisch.

Der Zwang gewisser Kommunikationslurche jedoch, möglichst verworrenen Schmodder zur Verdeckung von Nullinformation in die Gegend zu schreiben, ist nicht neu und hält an. Wen würde es wundern, beschlösse irgendwann eine ganze Generation, eine Wissenschaftsdisziplin mit voller Ignoranz in die Endablagerung zu befördern, weil ihr zum Mysterium aufgeblasenes weißes Rauschen jeden Versuch im Keim erstickt, sich ernsthaft damit zu beschäftigen? Ist dann der Zweck dieser Beschäftigung mit intellektuell niederschwelligen Angeboten auf einem künstlich hochgeziegelten Niveau nur das Bedienen der Heißluftposaune, um sich selbst unfassbar klug zu fühlen? Jahrhunderte haben die großen Denker um Klarheit gerungen, in den Gräben des Geistes dümpeln lediglich trübe Tümpel vor sich hin. Die Unverständlichkeit wird zum Fetisch, wo sie umgekehrt proportional zum Erkenntnisgewinn der Schwurbelei nur ein Fiepen aus dem Bedeutungsnirwana liefert.

Der Verdacht erhärtet sich zusehends, dass gewisse Disziplinen wie die Soziologie nur dazu erfunden wurden, damit man eine verschwiemelte Terminologie überhaupt verwenden könne, denn wer sonst hätte für den verbalen Bauschaum in flamboyantem Gepränge noch Verwendung als ein Pausenclown, der hysterisch sein Spiegelbild anbalzt. Größtmögliches Getöse liefern sonst nur die heideggernden Hilfshegel, die sich in ihrer Welt als Wille und Zwangsvorstellung heillos verkanten. Wozu auch immer diese Protzbrocken sich ein Rangabzeichen an die eigene Brust tackern, sie erweisen der Suche nach Wahrheit einen Bärendienst. Wie das Sozialgerümpel langfristig als Intelligenzsimulation durchgeht, interessiert nur die im luftleeren Raum, die sich nicht mit anderen Personen abgeben, weil es ihnen objektiver scheint. So wird nun also geworfene Dunkelheit des Soseins im Gewese des Dinglichen ein Ist-Status, dessen sich vorweg befindlicher Entwurf als Eigentlichkeit des Weltbezugs vorweg ist, je nach Vorlauf auch im Gegenteil oder mit Blümchen. Schlimm wird es nicht, wenn einer der Heißluftschlümpfe es nicht durchdringt, richtig schlimm wird es, wenn einer von ihnen vorgibt, den Müll zu verstehen. Mehr Schaden wird nie sein, als wenn Scheinriesen auf den Schultern von Zwergen herumstelzen. Man soll querstiebige Wunzen immer schöllig abknörzen, weil sonst die Raufen sich verhuddern. Mehr reine Hermeneutik geht nicht. Der Rest ist hoffentlich Schweigen.