Gernulf Olzheimer kommentiert (DLV): Der Sparwahn

12 03 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Irgendwann tief in der Nacht, die guten Tropfen waren längst getrunken, das billige Zeug war weg, und im Keller lagen noch ein paar Flaschen vom allerletzten Fusel, da hatten die Knalltüten nur noch weißes Rauschen in der Birne und fällten Beschluss auf Beschluss, um das ganze Land in eine einzige Tonne kloppen zu können. Alle hackten sich die Hände ab, damit keiner mehr etwas Sinnvolles tun würde. Ein paar von ihnen liefen auf die Autobahn, um sofort und endgültig Miete und Nebenkosten zu sparen. Und einige erfanden im Glanze jodelnder Synapsen das Instrument, das die ganze Nation auf Dauer in der Umlaufbahn des Sozialentzugs halten sollte: wirre Wahnideen des Alles-soll-so-bleiben-wie-es-immer-schon-nie-war, zusammengeballt in der idiotesken Vision eines Sparzwangs, der als Schuldenbremse in die Verfassung kleckert. Damit wir auch morgen noch kraftvoll verhungern.

Man stelle sich einmal vor, eine komplett neue Technologie sei gerade erfunden worden, mit der man Energie so gut wie verlustfrei quer durch das ganze Land, ach was: über alle Grenzen hinweg von einem Ende des Kontinents zum anderen bringen könnte. Menschen stöpseln einen Stecker in die Wand der Behausung, und wie durch Zauberei würde es Licht in jeder beliebigen Butze. Mehr noch, hier und da wüchsen Fabriken aus der Erde, die Maschinen bauen, Brot backen, natürlich auch Waffen zusammenschwiemeln würden, weil der böse Feind ja mittelfristig zurück in die Zeit vor dem Ausbruch des Wohlstandes gebombt werden muss (oder wir verkaufen sie halt irgendwelchen Diktatoren, die ihr eigenes Volk abschlachten), und die Regierung würde trotzdem sagen: wir machen da nicht mit, Infrastruktur kostet nur Geld. Ob man sich auch als Art bewusst entschließen kann, die Evolution anderen zu überlassen, weil dann nicht alles so bliebe, wie es halt sei, das ist noch nicht erforscht. Man kann sich aber die eigenen Hände abhacken, das hält zwar die Evolution auch nicht auf, man fällt ihr aber nicht mehr lange zur Last.

Die unter Volkswirtschaftlern fetischistisch verehrte schwäbische Hausfrau wäre das Ende aller Banken, die tatenlos zusehen müssten, wie zehn Generationen hintereinander Geld in die Matratze stopfen, das irgendwann fürs Häuschen im Grünen reicht, falls die Inflation davon etwas übriggelassen haben sollte. Kein Handwerksmeister würde einen Kredit aufnehmen, um ein Eigenheim finanzieren zu können – wovon auch, wenn auch keiner mehr seines renovieren würde. Was für ein Humbug.

Denn Staatsschulden sind Guthaben der Bürger; indem der Staat Verbindlichkeiten aufbaut, verteilt er deren Gegenwert pro Kopf auf die Konten seiner fiskalischen Subjekte. Nicht einmal das Vererben an Kindeskinder taugt zum Schreckbild, denn mit den Schulden vermacht die Nation auch sämtliche Guthaben, wie ein halb fertiges Haus, in dem ja die Hälfte des Darlehens steckt. Der solide Deutsche aber leiht sich kein Geld, er wartet weiter auf den Lottogewinn, die Ölquelle im Keller, die Sterntaler oder den reichen Onkel aus Amerika, der gar nicht gewusst hat, dass man durch Investitionen quasi automatisch in der Schuldenfalle landet. Hätte er bloß mal Kopfrechnen gelernt.

Und anders als Wirtschaft und Privathaushalte obliegt dem Gemeinwesen eine Aufgabe, für die er schließlich konstruiert, finanziert und ausgehalten wird: die Daseinsvorsorge, die den Staat als das auszeichnet, was er über Zeiten hinweg zu sein hat unter besonderer Berücksichtigung aller möglichen Risiken für seine Bürger. Würde es ein Jahr nicht mehr brennen, keine Kommune schaffte ihre Feuerwehr ab. Heutzutage aber optimiert sich die öffentliche Versorgung tot, indem sie ein Dutzend Wehren zusammenlegt, die schon wenige Stunden nach Ausbruch der Flammen vorbeischaut, um die rauchenden Trümmer zu begutachten – es entlastet die Kassen, der Steuerzahler rückt ein bisschen näher an die Schwarze Null, und weil es sich so dufte anfühlt, wird der komplette Laden alsbald privatisiert. Der Landstrich kokelt gemütlich vor sich hin, die Dividenden der Aktionäre sind mehr als reichlich, und wenn trotzdem die Kosten durch die Decke ballern, greift man doch wieder dem Volk in die Tasche.

Die schwäbische Hausfrau, argumentiert der Politiker, würde nie Töpfe und Pfannen kaufen, es sei denn im Sonderangebot, und auch da nur, wo sie genug Geld auf der hohen Kante hat. Der Staat aber konsumiert nicht, er betreibt Werterhaltung, indem er marode Brücken instandsetzt, Schulen wieder betretbar macht oder für Straßen sorgt, die nicht das Auto zum Zubehör seiner Stoßdämpfer degradieren. Die schwäbische Hausfrau würde ja auch nicht die Heizung bis zum Anschlag aufdrehen, weil keins der Fenster mehr schlösse. Damit finanziert sie also das Eigenheim des Glasers, wie man das in einem Wirtschaftskreislauf wenig überraschend findet. Falls sie nicht lieber erfriert, damit die Banken nicht so alleine sind beim Verrecken. Und das alles soll funktionieren in einem System, das unendliches Wachstum voraussetzt, damit seine theoretischen Grundlagen stimmen. Aber in der Psychiatrie sitzen auch schon Leute für weitaus weniger.