Botschaftsfrei

16 03 2021

„Deutschland!“ „Es wird nicht besser.“ „Und das finden Sie motivierend?“ „Wieso?“ „Ja, weil: ‚Deutschland – es wird nicht besser‘, das klingt ja nicht gerade nach…“ „Ach so.“ „Man kann das aber auch falsch verstehen, wenn man will.“ „Das ist ja genau das Problem, man darf es auf gar keinen Fall irgendwie falsch verstehen!“ „Wieso?“ „Weil jedes Wahlplakat, das man falsch verstehen kann, Stimmen kostet.“ „Ach so.“

„Haben wir schon eine klare politische Linie?“ „Wie immer, Gesicht und Sprüche.“ „Sie haben mir nicht zugehört.“ „Nein, Sie haben mir nicht zugehört.“ „Wir brauchen jetzt Botschaften, die von der Öffentlichkeit…“ „Also von den Wählern.“ „Ich mache diesen Scheiß jetzt seit vierzig Jahren, haben Sie eine ungefähre Ahnung, wer mir am Arsch vorbeigeht!?“ „… und den Medien nicht fehlinterpretiert werden.“ „Gut, das ist ja so kompliziert nicht.“ „Ist das Ihre erste Bundestagswahl?“ „Ja, warum?“ „Man könnte ja die Zuordnung auch reinzufällig…“ „Ich nehme an, Sie haben überhaupt noch nie in diesem Beruf gearbeitet?“ „Was hat mich verraten?“

„Die politischen Ziele sind im Wahlprogramm klar definiert, jetzt müssen wir sie nur noch…“ „… möglichst schwammig verbalisieren.“ „Das klingt ein bisschen chaotisch.“ „Wieso?“ „Stellen Sie sich bloß mal vor, wir geraten mit dieser Kampagne in eine mediale Öffentlichkeit, und dann fragt uns ein Moderator, was ‚Mehr Arbeitsplätze‘ bedeutet.“ „Ach so.“ „Das ist natürlich eine wirtschaftliche…“ „Ich würde sagen, es kann sich nur auf den Sektor in der Billigproduktion beziehen, der die Aktien für vorbestrafte Steuerhinterzieher billiger macht.“ „Oder gleich die Auslagerung nach Fernost, von deutschen Arbeitsplätzen war ja nie die Rede.“ „Also ‚Arbeit für alle, die arbeiten wollen‘.“ „Da gibt es dann doch gar keine…“ „Wer dann nicht arbeitet, der will eben nicht.“ „Wirtschaft für Deutschland?“ „Ganz heikler Begriff.“ „Wieso?“ „Man assoziiert da schnell die falsche politische Gesinnung.“ „Wegen ‚Deutschland‘?“ „Nee, aber wer mit ‚Wirtschaft‘ Wirtschaft meint, ist eine rote Drecksau.“ „Ach so.“

„Also jetzt: weiter so!“ „Moment, das ist doch jetzt nicht…“ „Weiter? gut, aber warum so?“ „Das ist doch von der politischen Richtung…“ „So ist schon okay, aber warum weiter?“ „Und wohin?“ „Und wieso?“ „… gar nicht möglich.“ „Hängt das an den Parteien?“ „Kennen Sie noch Parteien?“ „Ich kenne aber leider nur noch Deutsche.“ „Ach so.“ „Der Deutsche will doch keine Diskontinuität.“ „Was!?“ „Das Gegenteil von Kontinuität.“ „Sagen Sie das doch gleich.“ „Deshalb ja weiter.“ „Aber so?“ „Man kann ja erst mal etwas versprechen.“ „Das mündet dann natürlich in Diskontinuität.“ „Da macht man hinterher eben etwas ganz anderes, dann fällt das nicht so auf.“

„Demokratie jetzt?“ „Das klingt ja schon wie eine Drohung.“ „Ich meine ja nur.“ „Das ist ja auch irgendwie latent anarchistisch.“ „Schon klar.“ „Gut, ich streiche das mal aus dem Protokoll.“

„Deutschland den Deutschen!“ „Mit anderen Worten: Ausländer raus?“ „Das kann man so nicht sagen.“ „Wieso?“ „Weil das die falschen Wähler anzieht.“ „Nicht wegen der rassistischen Message?“ „Ist doch okay, wenn uns auch Rassisten wählen.“ „Eben, die wählen wenigstens keine Rassisten.“ „Ach so.“ „Aber wir sind ja keine Rassisten.“ „Man kann doch auch eine gewisse rassistische Neigung bei ganz normalen Leuten finden.“ „Wer gewisse rassistische Neigungen hat, ist nicht normal.“ „Aber Deutschland gehört doch nun mal…“ „Das ist doch wieder nur ein billiger Trick, um Rassismus durch die Hintertür hoffähig zu machen!“ „Und wenn wir die Ausländer jetzt auch irgendwie zu Deutschen erklären würden?“ „Was soll denn der Unfug?“ „Das kann man irgendwie als politische Botschaft für den…“ „Sie wollen politische Botschaften auf Wahlplakate schreiben!?“ „Ich werde wahnsinnig!“ „Was schicken die uns für Knalltüten!“

„Wie ist denn Zukunft als Begriff?“ „Das ist ja schon überaktuell.“ „Zu morgig.“ „Macht außerdem jeder.“ „Dann ist Zukunft zu gestrig.“ „Außerdem sehen Sie es doch gerade, Sie können so viel für die Zukunft versprechen, wie Sie wollen, wenn es anders kommt, ist nichts mit Zukunft.“ „Dann doch lieber: ‚Damit alles so bleibt.‘“ „Wie es nie war?“ „Mein Güte…“ „Hier, Gesicht und: ‚Für Sie in den Bundestag.‘“ „Das ist doch totaler Bullshit!“ „Eben, aber garantiert botschaftsfrei.“ „Auch wieder wahr.“ „Allerdings fragt sich da vielleicht der Wähler, wozu die in den Bundestag sollen.“ „Weil das eben so ist in einer Demokratie?“ „Wieso?“ „Da werden halt Leute gewählt, und die sitzen dann im…“ „Das war ja nicht die Frage.“ „Wieso?“ „Weil, dann weiß der Wählen ja wenigstens, wer da im Bundestag für ihn sitzt.“ „Und Sie denken, dass das jemanden interessiert?“ „Sicher, weil ja auch jede Stimme zählt, und wenn wir als Partei, als demokratische Partei, die demokratisch in den…“ „Lassen Sie’s bleiben.“ „Wir wissen, dass Sie es gut meinen, aber damit ist auch keinem geholfen.“ „Und wenn wir Zukunft und Wirtschaft…“ „Wieso?“ „Man könnte das ja auch mal von der Seite der Politiker her denken und fragen: was wollen die eigentlich für unsere Partei, beziehungsweise für Deutschland und die…“ „Meine Güte, macht doch, was Ihr wollt!“ „Hm.“ „Ich weiß ja nicht.“ „Ach, doch.“ „Wieso?“ „Wenn man das auf die Politiker bezieht, dann stimmt’s ja wieder.“