Der Gutenabend

28 03 2021

für Wilhelm Busch

Es war vor langer Zeit… zu später Stunde
lehnt an der Brücke stumm ein blasser Mann,
und ging im Mondschein eins noch seine Runde,
so sprach er einen jeden leise an,

indem er artig „Gutenabend“ sagte –
so mancher stand voll Angst und wie gebannt.
Der Alte blickt, als ob ihn etwas plagte.
Man hat „den Gutenabend“ ihn genannt.

Wenn man ihm aber spottete und zischte,
so wurde die Verbeugung drauf recht fein.
Als ob er in die Nacht noch Tinte mischte,
stand man auf kahlem Feld und war allein.

So einige, die fand man fast verdorben,
zerrissen und verhungert, bleich und dumm,
und manche, sagt man, sind am Schreck gestorben.
Er aber stand am Graben, still und stumm.

Da war der Meier. Er ritt ohne Knechte
und ließ dort zum Beschlagen auch sein Pferd.
Wie er sich dann am Abend gut bezechte,
kam’s, dass er sich um keine Stunde kehrt.

So schlich er, wankte, schwankte an die Brücke.
Da stand der Gutenabend frohen Muts.
Er maß ihn wohl mit einem klaren Blicke
und fasste an die Krempe seines Huts,

und sagte „Gutenabend“, mit Verbeugung –
der Meier schaukelt noch ein kleines Stück.
Dann aber gab er diese Ehrbezeugung
mit ebensolcher Freundlichkeit zurück.

„Bedankt“, sprach er. „und außerdem uns beiden
ein ewiges Gedenken, guter Mann!“
Der Alte aber strahlt in hellen Freuden.
„Darauf wart ich, seit dieser Spuk begann!“

Und fort war dies Gespinst, wie es gekommen.
Nun schreitet man des Nachts ohne Gefahr.
Seitdem hat keiner je den Laut vernommen,
der „Gutenabend“ wünscht, wie es einst war.