Pflichtpraktikum

3 05 2021

Es war laut. Die Stanze an der rechten Seite knallte immer dreimal hintereinander auf das Metallstück, dann schmiss es der Arbeiter in die Ölwanne. Das zischte. „Sechseinhalb pro Minute“, schrie der Schichtführer, das heißt: eigentlich schrie er nicht, er sprach nur sehr laut, was aber dasselbe war, weil er direkt neben mir stand.

Die Fabrik hatte gut zu tun, gerade hier in der Produktionshalle II brummte es gewaltig. Vierzig Handwerker stanzten und hämmerten, schliffen und polierten, bogen und feilten Stahlteile, dass es seine Art hatte. Auf einem langen Laufband fuhren die frisch zusammengenieteten Werkzeuge in den Ofen, auf einem anderen verschwanden sie in einem Bad aus Säure. Irgendwo rauschte der scharfkantige Abfall vom Lochen und Spanen in einen Trichter und fuhr ein Stockwerk tiefer in einen gewaltigen Bottich. „Großauftrag“, erklärte mir der Vorarbeiter, „eine halbe Million Stück.“ Es lief also. Da kamen auch schon die Neuen.

Der Maschinenführer beäugte die drei Männer in den frisch gebügelten Blaumännern kritisch. „Sie sollen die Handschuhe tragen“, pfiff er den ersten an, „die liegen nicht zum Spaß in Ihrem Spind!“ Noch bevor der etwas erwidern konnte, drückte er dem zweiten eine Schutzbrille in die Hand. „Wer hier ohne Brille antanzt, kann gleich wieder nach Hause.“ „Ich habe aber schon eine auf“, protestierte der, „und die hier drückt so!“ Der Maschinenführer trat ganz nah an das dünne Männchen heran. Ich interessierte mich gerade für den Arbeiter, der zwei Metallstücke in eine Form einfügte, einen Stift in die Öse steckte und zwei Hebel bediente, worauf der Automat mit einem kräftigen Schlag eine Niete hinein hämmerte. Schon wieder zwei neue Backen, neuer Stift, zack! da kam das fertige Stück auch schon raus.

Der Schichtführer drückte dem dritten einen Besen in die Hand und wies ihn an, unter der Stanze die Splitter zusammenzukehren. „Chef“, sagte der Vorarbeiter, „das ist einer von den Typen aus dem Bundestag. Sie wissen doch, die machen hier Pflichtpraktikum.“ „Gut“, antwortete er, „dann erklären Sie es ihm noch mal. Aber langsam, sonst versteht er es nie.“ Ein Helfer rollte einen ganzen Container mit roten Plastikgriffen durch die Halle. Ein neuer Schwung mit Stanzabfällen rasselte ins Tiefgeschoss. Der Schichtführer winkte mich heran.

„Wir hatten neulich schon mal ein Dutzend von diesen Idioten“, rief er. „Irgendwas haben wir falsch gemacht, jedenfalls haben sie uns die für eine ganze Woche aufs Auge gedrückt.“ „Wahrscheinlich nicht an die richtige Partei gespendet“, überlegte ich. Er grinste. „Jedenfalls sollen sich die Herren Politiker mal mit dem Arbeitsprozess vertraut machen.“ Dem Informationsblatt der Bundestagsverwaltung war nicht viel zu entnehmen; man hätte den Eindruck bekommen können, sie sollten für ein paar Tage in einem Büro herumsitzen, von Arbeit stand dort nichts. „Jetzt stehen sie uns im Weg, und danach werden sie sagen, sie seien schon mal in einer Fabrik gewesen.“ Der Schichtführer ging zum Ausgang. „Mein Stellvertreter übernimmt hier, ich muss mich um die Verzinkung kümmern.“

Die Abkantpresse war gerade besetzt worden. „Sie haben uns eine Fachkraft geschickt“, stöhnte der Maschinenführer, „er ist Pressereferent.“ Im Prinzip war das Gerät recht einfach zu bedienen, wenn man nicht an den Einstellungen auf dem großen Bildschirm herumfummelte. „Sie legen hier ein Blech ein“, erklärte die Fachkraft, „danach drücken Sie auf den grünen Knopf, betätigen den Fußschalter, und dann biegt die Maschine das Blech nach hinten und an den Seiten nach oben.“ Der Parlamentarier blickte fasziniert auf das Gerät, unternahm aber keine Anstalten, mit der Arbeit zu beginnen. „Blech einlegen“, mahnte der Führer. Nichts tat sich. Der Mann mit dem akkurat gestutzten Oberlippenbart meldete sich zaghaft. „Wo finde ich das denn?“ Statt einer Antwort fasste der Maschinenführer ihn an den Schultern und drehte ihn ruckartig nach links, wo das Laufband mit der automatischen Anlieferung sich befand. „Ah ja“, befand der Praktikant. „Ist das denn schwer? Ich meine, nicht, dass ich mir hier noch einen Bruch hebe!“

Unterdessen war der Schichtführer wieder in die Halle zurückgekehrt, um sich die Klagen der Fachkraft an der Montagestation anzuhören. „Es ist doch nicht so schwierig“, stöhnte er, „man nimmt zwei Handgriffe, dann legt man das Werkzeug in die Form, und dann muss man nur den Schalter betätigen.“ Er blickte zu dem Mitglied im Finanzausschuss, zu mir, und rieb sich an der Nase. Ich nahm eine Zange aus dem Behälter, legte zwei Plastikgriffe, rot, in eine Aussparung der Maschine, und sah zu, wie die Maschine zischend das Metall nach unten drückte, wobei sich zwei Gummihülsen über die Bügel schoben. „Ich könnte mir allerdings auch vorstellen“, wandte der Verwaltungswirt ein, „dass man durch bessere Verhandlungen mit den Herstellern der Kunststoffummantelungsmasse eine Ertragssteigerung von bis zu…“

Zwanzig Packerinnen, zwanzig Packer packten die Zangen mit routiniertem Griffen auf eine Pappe, die unter einer Kunststofffolie verschwand und in der Klebemaschine bald zu einer stabilen Packung wurde, die man aus dem Geschäft nach Haus trug und ohne eine weitere Zange nicht mehr zu öffnen vermochte. „Noch sechs Tage und sieben Stunden“, ächzte der Maschinenführer. „Aber wir haben es ja noch gut getroffen.“ Ich stutzte. „Wie kommen Sie darauf?“ Er sah mich traurig an. „Danach sind sie eine Wochen lang im Krankenhaus im Weg.“