Gernulf Olzheimer kommentiert (DLXXIII): Wahlplakate

16 07 2021
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nein, früher war nicht alles besser. Von wem man beherrscht wurde, hing im Wesentlichen davon ab, wer die letzte kriegerische Verteidigung oder Eroberung gewonnen, überlebt oder doch verloren hatte, wer von Feinden, Freunden oder der Familie einen Kopf kürzer gemacht, als Kind auf den Thron gehievt wurde oder alle seine Vorfahren ins Exil beförderte, um dann doch an Pest und Cholera zu sterben, meist mitsamt der kompletten Sippe, was die Einsetzung einer neuen Dynastie nach sich zog. Danach ging das ganze Theater wieder von vorne los, immerhin mit dem erfreulichen Unterschied, dass man sich um nichts mehr kümmern musste. Pharaonen und Könige, Kaiser und Sultane kamen und gingen, irgendwann musste sich das Volk um seine Gebieter selbst kümmern. Hin und wieder übernahm das ein starker Mann, der mit mehr oder weniger zerstörerischer Wirkung auf das Land seine Existenz in die Grütze ritt oder gleich in einem Arbeitsgang beendete. Gemeinhin müssen wir die Popanze aber selbst bestimmen, so fängt das Elend an. Mit dem Wahlplakat.

Intellektuell eher übersichtlich ausgestattete Personen halten den Akt, Gesichter auf Papier zu drucken und sie in die besiedelte Landschaft zu schwiemeln, für eine wichtige Form der Politik, die damit ihre Bereitschaft zur Verantwortung und zur Anerkennung des Wählerurteils demonstriert, alle paar Jahre wieder, in geordneter Form, streng nach Recht und Gesetz. Was da so gesittet vom Karton glotzt, ist für Idealisten immer noch ein Angebot an die Verfassung, dass das Trallala von vorgestern es auch in ein porentief weißes Übermorgen schaffen wird, wenn die Bekloppten weiterhin unkritisch und vielseitig ungebildet aus der Wäsche schauen. Es bedarf keiner Reflexion, die Nullaussagen auf den bunten Abzeichen des Brauchtumsterrors in ihre niedermolekularen Bestandteile zu zerlegen, es wird nur höchst selten unternommen.

Was ist da schon zu sehen außer einer Rotte Flachdachscheitelfressen in preisreduzierten Polyestersäcken, die Motivationsmüll von der Stange unter sich lassen: Wir für Euch – Damit die Zukunft noch besser wird – Mehr Brutto von Ihrem Netto. Die jüngste Vergangenheit, namentlich die, in der die abgebildeten Gesichtsschnitzel sich schon für Steuergeld den Steiß platt gesessen haben, war schlimm, wir als Teil des Problems wiederholen die ganze Scheiße und stopfen uns noch einmal mit Lösungen von damals für Probleme von heute die Penunzen in sämtliche Körperöffnungen. Wählt uns oder lasst es bleiben, Ihr seid uns eh wumpe. Her mit Macht und Kohle, weil eins das andere fördert, und habt Ihr keins von beidem, haltet einfach den Rand. Als Brechmittel von Wahlplakaten zu gucken ist schon widerlich genug.

Selbstredend bleibt auch hier genug Raum für die parteipolitische Auseinandersetzung, die dem mündigen Staatsbürger die Entscheidung erleichtern soll, vulgo: Konkurrenzgehabe in Form verbalen Gerümpels von der großen Halde an Hirnschrott, der sich in jeder ausreichend unterkellerten Birne ansammelt. Mehr Sonnenschein brutto, weniger Steuern auf die Zweitkakerlake, die anderen wollen das Butterbrot verbieten. Man kann und darf sich dem Schmodder nicht entziehen, aber mehr als spontan einsetzenden Ekel vor dem Gewinsel der glitschigen Kriecher entbietet kein Wähler dieser ästhetischen Vollkatastrophe.

Abgesehen von jeder politischen Standortbestimmung stellt sich ohnehin die Frage, ob die Pappnappel nicht zum anachronistischen Sperrmüll verkommen, der außer einer Beleidigung für Geist und Auge nichts mehr zeitigt. Zwei oder drei Sekunden ruht der Blick auf der verfetteten Kröte, die für uns eine Legislatur lang den Hohlkopf in den Sand stecken will, damit wir nur noch seine relevanten Körperteile zur Kenntnis nehme müssen. Zum Wegsehen reicht da auch das Internet, zum Wegschalten das dümmliche Gesülz und Geseier im TV zwischen zwei Werbungen für Inkontinenz- und Darmentleerungszubehör. Wir wissen sowieso, wer was verschweigt, weil dazu die Kalotte zu viel Dünnluft enthält, und wer seit Generationen mit perpetuierendem Mist seine Peinlichkeit untermauert. Nachhaltiger wäre ein Wahlplakat pro Partei, auf dem stünde, dass sie das sagen, was sie schon immer gesagt haben: dass sie immer schon gesagt haben. Noch nachhaltiger wäre nur die Erinnerung an die jeweils letzte Kampagne, deren beknacktes Geschwall zum nochmaligen Gebrauch empfohlen wird. Wozu neuer Wein, wenn die alten Schläuche eh aus Löchern bestehen.

Immerhin befriedigt das Wahlplakat den Instinkt des zurechnungsfähigen Staatsbürgers, dass es den braven Arbeitsmenschen irgendwo noch gibt, der in seinem Interesse und zur Befriedigung seiner tiefen Sehnsucht Politiker an einem Laternenpfahl in die Höhe zieht, während er straffrei zusehen darf, ohne Verfehlung alles geschehen lassen kann und nicht einmal durch Unterlassen sich schuldig macht. Der Wähler hat die Freiheit, die sinnfreien Objekte der Verschandelung des öffentlichen Raums komplett zu ignorieren. Dafür lohnt sich Demokratie.