„Also die Mehrheit ist dagegen, aber das heißt hier in Bayern ja nichts. Wenn zum Beispiel die meisten Ministerpräsidenten dafür sind, dann wird das auch so gemacht, weil der Ministerpräsident im Freistaat ja die Bevölkerung vertritt. Stellen Sie sich schon einmal auf eine Sommerwiesn ein.
Ach, jetzt bleiben Sie mal ganz ruhig. Natürlich wissen wir noch nicht, was da auf uns zukommt, weil wir ja nicht einmal genau wissen, was auf uns zukommen könnte. Wir wollen hier Bier verkaufen und Brauchtum und Brathendl, mit Viren haben wir nicht zu tun. Aber ob wir die jetzt ignorieren oder eventuell später, oder ob wir feststellen, dass wir die später nicht mehr ignorieren können, weil die uns jetzt das Geschäft lahmlegen, das ist nicht ganz gewiss. Wir brauchen da sehr viel Gottvertrauen und einen Ministerpräsidenten, der noch viel mehr Selbstvertrauen hat – das ist bei ihm ja dasselbe, das geht quasi ineinander über. Er weiß ja immer, wo es langgeht, auch wenn sich das mehrmals am Tag ändern sollte. Also bei ihm.
Wir sollten die bayerischen Feste viel mehr im Sommer konzentrieren, da ist hier viel mehr los, weil die Menschen alle Urlaub haben, und die Stadt München kommt damit viel besser zurecht, so in Bezug auf den Verkehr, den Dobrindt und Scheuer und die ganzen anderen Knalltüten ihr gelassen haben, weil alle ja auch verreisen. Das widerspricht sich zwar, aber das macht gar nichts, weil der Ministerpräsident sich ja auch ständig widerspricht, und da fällt es gar nicht mehr auf. Außerdem ist so ein Sommerfest sowieso viel schöner, bis auf die ausländischen Touristen, die kommen gar nicht erst, und das ist ja wieder gut für den Verkehr, und der Ministerpräsident ist dann vielleicht gerade wieder ökologisch und findet das toll, und dann umarmt er einen Baum, fordert Preissenkungen beim Diesel und Impfpflicht für Touristen, und dann ist auch schon wieder Weihnachten.
Ein Problem wird ja das Personal, weil wir die Kellnerinnen dieses Jahr alle früher brauchen oder gar nicht. So genau weiß man das noch nicht, aber wir machen es auch mal wie der Ministerpräsident: wir warten ab, was passiert, und dann machen wir das Gegenteil, oder auch nichts, oder wieder etwas ganz anderes. Irgendwie sieht es bei ihm ja auch immer aus, als ob alles klappen würde, auch dann, wenn es mal nicht geklappt hat. Beispielweise das mit der Kanzlerkandidatur. Auch wieder hier zu früh und da zu spät, nicht passt zusammen, dann macht’s Laschet und macht es auch prompt falsch, und am Ende stellt er sich hin und sagt, was er immer schon gesagt hat. Dass er es nämlich immer schon gesagt hat. Also müssen wir dann jetzt erst rauskriegen, ob das Oktoberfest stattfindet, wann es stattfindet, und dann erledigen sich die wichtigen Problem wahrscheinlich von selbst, und wenn nicht, dann kann man daran vielleicht gar nichts machen. Vermutlich höhere Gewalt, aber ich bin mir noch nicht mal sicher, ob das für den Ministerpräsidenten tatsächlich ein Hinderungsgrund wäre. Die höchste Gewalt ist ja immer noch er selbst.
Auf der anderen Seite ist das organisatorisch und verwaltungstechnisch ein Schnapsidee, weil die Bewerbungsfristen für die Fahrgeschäfte längst abgelaufen sind. Für den Sommer wird es also nichts mehr mit der Wiesn, und da wir im Oktober dann wieder Corona haben – das wissen wir jetzt schon, wir wissen nur noch nicht, ob wir das im Herbst auch schon wissen, dass wir das gewusst haben oder vielleicht schon gewusst haben werden – können wir es eigentlich gleich lassen. Da wird einem ja gleich ganz schwindelig, das muss von der plötzlichen Nüchternheit kommen, so ganz ohne Wiesn, oder der Ministerpräsident jongliert mal wieder mit unsicheren Zukunftsformen herum. Er geht ja zum nächsten Karneval als Captain Future, falls der nicht wegen Impfpflicht ausfällt, oder war das andersherum? Egal, so eine Wiesn kriegen wir auch ohne Achterbahn hin, Bier ist genug da, und den Unterhaltungspart macht der Ministerpräsident einfach selbst.
Es sei denn, wir kriegen jetzt auch noch ein Problem mit der kritischen Infrastruktur. Also mit der Brauereiwirtschaft, das ist ja der entscheidende Punkt an der Wiesn. Das stelle ich mir jetzt doch ein bisschen komplex vor, wie man sich da als Ministerpräsident positionieren soll. Erstmal muss er ja die Brauereien loben und sehr viel Zuversicht verströmen, dass die das alles schaffen, weil das im Freistaat ja gar nicht anders geht – spätestens eine Woche, realistisch gesehen eher zwei bis drei Tage vorher wird er dann der Öffentlichkeit erklären, dass die Wiesn nicht stattfindet. Es können schon Wetten angenommen werden, ob es nicht genug Fässer für das Bier gibt oder zu viel Bier für die Flaschen, auf jeden Fall ist die Planwirtschaft schuld und der Sozialismus sowieso, nämlich die Kommunisten aus Berlin, und dann weiht er sicher ganz schnell im Kini-Kostüm eine Schnellstraße im Wahlkreis vom Stoiber ein, damit er auch in den Schlagzeilen ist, aber mit ganz anderen Sachen.
Wahrscheinlich stoppt er das selbst, weil er keinen Ärger mit der Polizei haben will. Die haben ja für den Sommer auch schon Urlaub eingereicht, und wenn da alle Einsätze neu geplant werden müssen, haben wir am Ende noch eine Terrorlage, weil ein paar durchgeknallte Islamisten die Stadt in die Luft jagen wollen. Oder Querdenker, so gut sind die ja auch nicht zu unterscheiden. Aber so machen wir das hier eben in Bayern: irgendwas passiert, keiner weiß, wozu es gut ist, verantwortlich sind die anderen, aber reinreden soll uns auch keiner. Da kann die Mehrheit dann denken, was sie will.“
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