
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Bei Uga war es noch verhältnismäßig einfach. Die Sommerbekleidung lag auf einem Stapel, wenn gerade Winterfell getragen wurden, und umgekehrt. Daneben lehnten Jagd- und Verteidigungswaffen an der Wand der Einsippenhöhle, griffbereit und grob nach Größe geordnet. Das Feuer in der Mitte des Raums war leicht zu erkennen, wer versehentlich hineintrat, verbrannte sich die Füße oder bekam die Faust des Sippenältesten in die Schädelvorderseite. Auch das ästhetische Empfinden des Hominiden hatte schon Einzug gehalten in den Alltag, der von allerlei Talismanen geprägt wurde, Felsmalerei und direkt ins Massiv gekratzten Werken. Doch war die Habe des Jägers und Sammlers gering, da ganz auf den Augenblick bezogen, so war auch seine Anlage beschränkt, den Krempel säuberlich an einem Platz zu lagern, an dem auch Zufallsgäste mühelos zu Speer und Stein greifen konnten, da ihre Behausung einer offiziellen Norm entsprach. Jene Zeit mag wohl einen rustikalen Charme gehabt haben, den der postmoderne Minimalismus nicht annähernd zu versprühen weiß, doch hatten die Troglodyten im Bärenoutfit es nicht nur schlechter. Sie hatten keine Last mit Ordnungsfanatikern.
Mit Mühe schlägt man heute eine Zeitschrift auf, aus der nicht sofort der kategorische Imperativ der Räumfahrt plärrt: style Deine Zwei-Zimmer-Kochnische-Nasszelle-Bude gefälligst so durch, dass jederzeit ein kamerabewehrtes Kommando die Tür eintreten und bis in die Kloschüssel filmen kann, dass hier ein willfähriges Opfer des rechten Winkels vegetiert, das mit der Wumme im Nacken auf Zuruf sofort ein Kleidungsstück aus der Box zerren kann, die tagsüber unters Sofa geschwiemelt göttliche Leere im Salon vorgaukelt. Dazu sucht der Coach, ohne den es nicht geht, sich zwei bis zehn Teile raus, rollt sie gewaltsam zusammen, pfercht sie in einen schuhkartonösen Behälter und schmeißt den Rest weg, weil er nicht genug Liebe, Frieden und Adrenalin verbreitet. Das rosa Lieblingshemd – ab in den Container, ein voller Kleiderschrank wäre vulgär. Wie man früher Berge von Klamotten in die absonderlichsten Kisten nudelte, da sie so billig auf dem Grabbeltisch aussahen, das ist nun Geschichte.
Schon ballert die Domina der Inneneinrichtung mit dem Laubbläser den Schreibtisch frei, endlich kein Papier mehr, keine Rechnung, keine Notiz, stets mit der Plattitüde im Anschlag, dass ein dem Chaos verfallenes Möbel den geistigen Zustand des Besitzers widerspiegele. Was nun ein leerer Tisch zu bedeuten hat, kommt nicht zur Sprache, ist aber auch besser so, sonst würde die Verdeppung nicht annähernd perfekt funktionieren.
Wie der Schlank-Schön-Fit-Trieb entspringt der Wegräumstuss genau dem Optimierungswahn, der den Menschen zum willfährigen Bestandteil eines ökonomisch ausnutzbaren Räderwerks macht und ihm in der sklavischen Bejahung eines Trends zur inneren Bedürfnislosigkeit vorgaukelt, alles sei gut, wenn er nur genügend normgerecht an die Spitze der Zwangserkrankten vorstieße. Die Clean-Desk-Policy, die der Unterhaltsreinigungskraft erleichtern soll, Kunststoffflächen zu säubern, ohne über ihr zu eng gestricktes Zeitmanagement zu stolpern, bringt in der häuslichen Umgebung gerade mal gar nichts, gibt aber das gute Gefühl, nicht gegen eine goldene Regel verstoßen zu haben. Wie Nikotin das ZNS mit der Brechstange entert, um durch etwas weniger Suchtdruck anflutende Freiheit vorzugaukeln, fühlt sich der durchschnittliche Dummklumpen spontan wie unter Tranquilizern, dass er dem Gruppendruck mit artiger Hysterie nachgegeben hat.
Keiner redet von den Menschen, die aus dem Festmeter Fernsehzeitschriften KW 21/72 zuppeln könnten, wären sie spontan unsicher, in welcher Scherzreihenfolge die Witzseite auf Seite 13 liefe. Wer aber kein Freudengeheul beim Sockensortieren empfindet, keine Angstzustände bei einer Batterie von Essigflaschen auf der Küchenanrichte, die nicht dem State-of-the-art-Foto eines elitären Magazins für Penthäuser entsprechen, in denen nicht einmal Wasser anbrennt, wird die in der Dünkelkammer zu Hochglanz gekasperten Scheinentwürfe des guten Lebens nicht verstehen, mit denen uns die, ähäm, Oberschicht ermuntert, so zu leben wie sie selbst. Man entledigt sich des Nötigsten und nennt den Minimalismus Gewinn, um ihn nach knapp und kurzfristig eingenommener Kohle wieder durch Konsum zu ersetzen. Häuser und Automobile, Gold und Schmuck hat man der Mittelschicht schon mit fadenscheinigem Getrickse abgeluchst, damit sich die Umverteilung nach oben freiwillig anfühlt, das Surrogat eines dünn fabulierten Vernunftlebens ist die letzte Stufe der Instinkt-Dressur-Verschränkung, mit der die leistungslose Klasse ihre Ernährer zu täuschen versucht. Die Pathologisierung des ganz normalen Verhaltens, wo es nur dem Einzelnen nützt und nicht dem Produktionsprozess, ist uns aus dem Mutterland des Turbokapitalismus längst vertraut. Vielleicht sollen wir die Leistungsträger verfolgen, wenn sie ihre Luxusuhren nicht jeden Abend wieder bündig in die Schublade legen. So ein Aufenthalt in der Psychiatrie zwecks korrektem Verhalten hat doch noch jeden auf den Pfad der Tugend geführt. Notfalls mit Gewalt.
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