Gernulf Olzheimer kommentiert (DCVII): Das Märchen vom sozialen Faulenzen

25 03 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Frühling kam ins Land. Schon schossen im Wäldchen am Rande der westlichen Felswand die Kräuter aus dem Boden, die Ngrr und seine Leute so nötig hatten, um sich gegen die Erscheinungen des vitaminarmen Winters zu wappnen. Die Jungen bekamen ihre Körbchen, um fleißig Grünzeug zu sammeln, Snackhörnchen und Vorspeisenvögel in günstigen Momenten zu erbeuten und die Vorräte in der Sippenhöhle aufzufüllen. Doch nicht immer gab es genug. Alle waren beschäftigt, fröhlich zog die Riege von Hang zu Hang, aber mancher Korb blieb leer. Schon hatte der Älteste die Lösung und pfiff die scheinbar Müßigen an: ohne abendliches Eiweiß ab unters Bärenfell. Strafe musste sein. Viel eher war er damit dem Märchen vom sozialen Faulenzen aufgesessen.

Den angeblichen Motivationsverlust bei einer gemeinsamen Aufgabe hatte der Ringelmann-Effekt noch mit dem Tauziehen experimentell zu erklären versucht: je mehr Probanden am Seil ziehen, desto weniger Kraft wirkt tatsächlich. Schließlich wissen wir, dass Team die Abkürzung ist für ‚Toll, ein anderer macht’s‘. Aber die Sache ist, rein physikalisch betrachtet, ein sauberer Fehlschluss, in dem die Psychologie der Motivation nur am Rande eine Rolle spielt. Nicht nur ist die Zugkraft stark vom Impuls abhängig – zieht mal der eine, mal der andere, mal ein paar vorne und hinten, so lässt sich eine Kraftübertragung kaum sauber definieren – sie ist auch vom Vektor abhängig, so dass links und rechts gleichzeitig zerrende Muskelmannen sich in ihrer Stärke buchstäblich auslöschen. Ob nun einer, ein halbes oder ein ganzes Dutzend Honks an der Leine zerren, ist dabei vernachlässigbar, da sich ein linearer Leistungsabfall auf die Art nicht errechnen lässt. Die psychologische Erklärung ist also mit viel Selbstvertrauen zusammengeschwiemelt, zielt auf die Außenwirkung einer pseudowissenschaftlichen Schwindelei und ergibt eine billige Ausrede, die sich im Management nach Belieben verbraten lässt.

Denkbar ist immerhin, dass auch bei nicht rein körperlichen Anstrengungen der Hominide ohne ein klares Leistungsquantum im Gruppenprozess auf Schonbetrieb schaltet, wenn sein eigener Anteil am Ergebnis nicht identifizierbar ist – wo alle Rüben gleich auf dem großen Haufen landen, lassen sich Fleiß und Ausdauer nicht mehr vom Hintergrund der Gruppe lösen. Wir sind hier also bereits in der Selbstmotivation, die aus der positiven Bewertung der eigenen Leistung rührt, wenn nicht aus der Anerkennung durch Dritte, etwa durch kollektives und individuelles Lob, Wertschätzung und einen angemessenen Lohn für die Anstrengung, die über ein erwartbares Maß hinaus der Sache diente. Wer die Notwendigkeit für etliche Arbeitsbereiche in der aktuellen Gesellschaftssituation erkennt, darf gerne danach handeln. Theorie macht nichts besser.

Wo rohe Kräfte sinnlos walten, muss aber nicht immer der Einzelne schuld sein. Vielmehr hat die Organisation der Arbeit entscheidenden Anteil am Gelingen, da Rollen im Gruppenprozess definiert und ihre Bedeutung für das Gesamtergebnis erklärt werden müssen, weil ein Großteil der Effektivität in der Koordination liegt. Schon die empfundene Unwichtigkeit der Arbeit würgt zuverlässig jede Art von Anreiz ab, ein konstantes Niveau zu halten oder es zu steigern, und dies gilt nicht nur für sinnfreies Sandschaufeln oder Bullshit-Jobs, die auch ein gut dressierter Papagei für genügend Nüsse erledigen würde. Berufsfelder, die im öffentlichen Diskurs als höchst relevant abgefeiert und dann systematisch zum Schmuddelkindergarten tituliert werden, sind ebenso betroffen, und die Folgen lassen sich nicht auf die Arbeitnehmer abwälzen, wenngleich gerade dies reflexhaft geschieht, weil sonst die simplen Rechtfertigungsmuster nicht mehr funktionieren.

Außerhalb wirtschaftlicher Verwertbarkeit zu denken fällt Realitätsallergikern gewohnheitsmäßig schwer. Schon bei der Eigenverantwortung in der Pandemie holt sie ihre Scheuklappenroutine ein, mit der sie großspurig Ziele definieren, die für alle gemeinsam gelten sollen, die sie aber lieber der intrinsischen Motivation der Betroffenen überlassen wollen, weil eine Erklärung zu viel Arbeit machen würde. Wüsste jeder, dass die bunten Schilder am Straßenrand nicht zur ästhetischen Aufwertung der Landschaft dienen, hätten wir kein Verkehrsunfälle durch unangepasste Fahrgeschwindigkeit. Nicht nur die heilige Produktivität, auch das Überleben und die damit verbundenen Qualitätskriterien werden von der Tendenz zur Verantwortungsabgabe stark beeinflusst. So treiben wir nun auch die Gutwilligen in die soziale Nahtoderfahrung, weil wir ihre immer wieder gezeigte Kooperationsbereitschaft in die Tonne treten, da wir sie für einen nachwachsenden Rohstoff halten.

Die gegensätzlichen Annahmen der XY-Theorie, der Mensch sei entweder grundsätzlich faul oder grundsätzlich fleißig, sind nur eine selbsterfüllende Prophezeiung, die eine auf Menschen projizierte Haltung verstärkt. Sie erklären wenig und beweisen nichts, aber Hauptsache, wir haben eine einfache Steuerung für die humanoide Verfügungsmasse. Ein Knopf reicht. Wir wollen ja dem Führungspersonal nicht zu viel Umstände machen.


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