Sorgfältig schnitt Herr Breschke die Rasenkante. Wie mit dem Lineal gezogen verlief ein sauberer Saum am Rosenbeet. „So ein herrliches Wetter“, begrüßte er mich im Vorgarten. „Wir können gleich anfangen, die Säcke mit dem Strauchschnitt liegen im Keller.“
Vieles hatte ich erwartet, denn der Hausherr war ja nicht mehr der Jüngste. Eine fiebrige Erkältung, plötzlich einsetzende Gelenkschmerzen, leichter Schwindel durch eine verhobene Bandscheibe, alles das war schon einmal der Grund gewesen, ihm im Haus zu helfen, da plötzlich ein Rollo herabgefallen war oder eine Schublade sich verklemmt hatte. „Sie hatten doch gesagt, Sie könnten gerade nicht aus dem Haus?“ Er nickte. „Deshalb bleibe ich ja auch hier, nur bis zum Zaun – man soll sein Schicksal nie herausfordern.“ Er legte die Schere beiseite und zog die Handschuhe aus. Offenbar fehlte ihm nichts. Was mich sonst gefreut hätte, machte mich stutzig. „Ihnen bereiten zwei kleine Beutel mit Gartenabfall doch keine Schwierigkeiten?“ Breschke schüttelte energisch den Kopf. „Ich bitte Sie“, antwortete er, fast trotzig. „Die trage ich Ihnen eben herauf, und Sie stellen die bloß an den Bordstein, weil morgen früh Abfuhr ist.“ Jetzt begriff ich gar nichts mehr. Würde er sich beim Transport ernstliche Schäden zuziehen? Müsste ich fürchten, er verliefe sich auf dem Rückweg zur Haustür? „Sie werden das sicher für unnütze Vorsicht halten“, beharrte er, „aber ich bin nun einmal wachsam, was Gefahren angeht.“
Kurz war er in den Hauseingang getreten und hatte eine Illustrierte aus dem Postkörbchen neben der Tür gefischt. „Sehen Sie“, sagte er und blätterte das Heft auf. „Im Straßenverkehr lauern Gefahren, die ich nicht unterschätzen soll.“ Das also stand auf der Doppelseite von Linda, dem neuen Organ für Backrezepte und Hysterie, im Horoskop. „Herr Breschke“, stöhnte ich, „Sie wollen mir doch jetzt nicht weismachen, dass Sie auf Ihre alten Tage anfangen, an diesen Hokuspokus zu glauben?“ Er zog missbilligend die Augenbrauen in die Höhe.
Vor Jahren hatte der pensionierte Finanzbeamte durch ein Mitbringsel seiner Tochter die chinesische Tradition in Taiwan gefertigter Plastikarmbänder entdeckt, die seit Jahrtausenden mit magnetischem Kupfer und automatisch übersetzten Anleitungen an fitnessbewusste Europäer geliefert werden, um die Volksgesundheit bei schrumpfendem Geldbeutel zu stabilisieren. Da die Urlaubsvertretung von Doktor Klengel mit ihrem Versuch gescheitert war, seine rheumatischen Anfälle durch Zuckerkügelchen zu therapieren – genauer gesagt war es ihr schon nicht gelungen, ihn zur Einnahme dieser Süßwaren zu bewegen – hielten sich die Ausflüge ins Esoterische also in Grenzen. Was konnte nur geschehen sein? „Das Hundemagazin ist dreimal nicht gekommen“, erklärte er. „Irgendetwas muss ich ja nachmittags beim Tee lesen, und da meine Frau immer die Hefte hat…“ Deshalb also musste Horst Breschke nun in diesem als Sternstunden bezeichneten Unfug sein unabänderliches Los suchen. „Lieber Freund“, begann ich, „Sie werden sicher die Güte haben, mir zu erklären, warum Sie die Säcke nicht selbst hinaustragen.“ „Lesen Sie doch“, zeigte er auf den Abschnitt. „Straßenverkehr – alles vor dem Gartenzaun ist Straßenverkehr, deshalb muss ich auf dem Grundstück bleiben.“ Das erklärte einiges.
„Herr Breschke“, gab ich zurück, „Sie glauben daran, dass ein Zwölftel der Menschheit sich eine Woche lang zu Hause aufhalten soll, weil sonst ein gefährliches Übel ihnen droht? allen gleichzeitig?“ Er sah mich ungläubig an. „Ich habe mich doch bis jetzt daran gehalten, und es ist nichts passiert.“ Ich stöhnte auf. „Gibt’s keine Gefahren, so stimmt das Horoskop, weil man sich in Sicherheit gebracht hat, und passiert tatsächlich etwas, haben die Sterne ja ausdrücklich gewarnt.“ Möglicherweise war er ein bisschen gekränkt, aber darauf konnte ich nun keine Rücksicht mehr nehmen. „Übrigens stimmt diese ganze Berechnung sowieso nicht mehr.“ Er sah auf das Heft. „Es wird doch aber immer wieder neu berechnet, Woche für Woche?“ „Was sagt Ihnen denn der Begriff ‚Präzession‘?“ „Natürlich ist das sehr genau“, nickte Breschke, „das machen die ja beruflich.“ So kamen wir offenbar nicht weiter. „Es ist ein 2500 Jahre altes Modell, das den Himmel in zwölf Abschnitte teilt und ihnen Namen gibt wie Stier, Wassermann oder Widder, aber unsere Erde bewegt sich nun mal, die Erdachse neigt sich im Laufe der Zeit hin und her und der Frühlingspunkt verschiebt sich.“ „Sie wissen doch aber, dass ich im Winter Geburtstag habe?“ Wie sollte ich dem noch beikommen? „Die Jahreszeiten verschieben sich, und in diesen 2500 Jahren sind die Sternzeichen um eine Stelle weiter gewandert. Wären Sie nach dieser Aufteilung Wassermann, so sind Sie astronomisch korrekt nun eigentlich Steinbock.“ Verzweifelt sah Breschke mich an. „Um die ganze Sache genauer zu machen, eigentlich sind es dreizehn Sternzeichen, aber für die Astrologen in Babylon war die Zwölf eine heilige Zahl. Und einfacher zu berechnen.“
Herr Breschke drehte sich wortlos um, betrat den Flur und schritt auf die Kellertür zu. Ich ging ihm schnell nach. Gerade eben noch sah ich, wie einer der beiden Beutel mit Blattwerk, mit denen er die Treppe empor kam, mit scharfem Rauschen riss, so dass die Abfälle die Stufen hinab purzelten. „Wie ist das möglich“, keuchte er. „Das kann doch nicht sein?“ „Sie hätten dies Präzisionshoroskop besser lesen sollen“, erklärte ich. „Vielmehr das Datum, es ist das Heft der letzten Woche.“ Ich zog die neue Linda hervor. „Die Sterne empfehlen Ihnen, den Frühling bei einem Stadtbummel zu genießen. Das klingt doch vernünftig, oder nicht?“
Satzspiegel