„Sie können mir ja gleich die Tür aufhalten“, schnaufte der Mann und hob zwei Flaschenträger in den Flur. „Vielleicht möchten Sie auch probieren?“ Luzie sprang wie angestochen hinter dem Tresen auf. „Ich hatte mich doch klar genug ausgedrückt, wir wollen Sie hier nicht mehr sehen!“ Keuchend stellte er seine Fracht auf den Boden. „Das sagt mir Ihre Chefin vielleicht am besten selbst.“
Eigentlich hatte ich nur einen Umschlag in der Kanzlei abgeben wollen, und so hatte ich gar nicht gefragt, ob Anne überhaupt da sein würde. Was den Vertreter anging – als solcher war der unangenehme Zeitgenosse ja hinlänglich zu erkennen – so teilte er mir sofort mit, dass er einen Freund des Hauses, nämlich Staatsanwalt a.D. Husenkirchen, sehr gut kenne. Ich blickte auf die billige Visitenkarte. „Und er kennt Sie auch?“ Unbeirrt packte er sein Dutzend Flaschen aus und baute sie vor Luzie auf. „Sie werden sich wundern“, frohlockte er, „es gibt allein in Deutschland an die 800 Sorten Wasser, und bei mir finden Sie genau das richtige Getränkt für Ihren Bedarf.“ „Machen wir das kurz und schmerzlos“, unterbrach sie ihn. „Sie packen Ihr Gesöff wieder ein, und dafür bekommen Sie garantiert alle Ihre Flaschen wieder heil hier heraus.“ Mit geradezu bewundernswerter Ignoranz zeigte er mir das ganze Sortiment. „Wie bevorzugen Sie denn Ihr Wasser?“ Ich blickte ihn und seine Batterie an. „Heiß“, gab ich zurück, „über einen auf Stufe 8 gemahlenen Robusta gefiltert, ohne Milch, ohne Zucker.“
Immerhin hatte der Knilch, der sich auf seinem Kärtchen hochtrabend als Sommelier bezeichnete, auf levitiertes Informationswasser in strukturierter Vollmondabfüllung verzichtet. Aber er ließ sich von nichts und niemandem beirren, hebelte vermittels des Flaschenöffners einige Flaschen auf und goss ein paar der Gläser auf dem Beistelltischchen neben dem Tresen voll. „Ihre Kunden brauchen natürlich vor allem eine gesunde Alternative, deshalb haben wir einen ganz besonderen Tropfen mit viel Eisen.“ „Wir haben keine Kunden“, knurrte Luzie, „wir haben Mandanten, und unser enteisenter Sprudel aus dem Supermarkt hat noch keinen von denen vergiftet.“ Ich schob ihm das Glas zu. „Wir können das bei Ihnen aber gerne ausprobieren.“ „Natürlich ist auch eine Anreicherung mit lebenswichtigem Sauerstoff problemlos möglich.“ Wie zum Beweis, dass er an alles glauben würde, was er da von sich gab, nahm er einen großen Schluck aus einem anderen Glas. „Dieses Wasser speichert ungefähr 100 Milliliter reinen Sauerstoff pro Liter, meinen Sie nicht, dass das ausgezeichnet zu einem sportlich durchtrainierten Mann wie Ihnen passt?“ Ich wies auch das zweite Glas ab. „Passen Sie auf“, begann ich milde, „wenn ich ganz in Ruhe vor mich hin atme, nehme ich bis zu 300 Milliliter Sauerstoff aus der Luft auf, wenn ich Holz hacke oder mit der Axt hinter Ihnen herlaufe, dann steigert sich das um das Dreifache, und das muss noch nicht mal durch den Magen-Darm-Trakt, wo es sowieso ganz woanders wieder zum Vorschein kommt.“
Der Schlüssel knackte kurz im Schloss, schon stand Anne in der Kanzlei. „Was machen denn Sie hier schon wieder?“ Keck reichte er ihr ein Glas. „Wonach sieht es denn aus?“ Ihr Blick war schon vorher nicht übermäßig freundlich, hatte aber noch genug Potenzial, sich zu verfinstern. „Sie packen jetzt Ihr ganzes Abwasser zusammen und sind in zehn Sekunden auf der Straße, oder ich stopfe Sie mit Ihrem Sammelsurium in den Altglascontainer.“ „Alles in der Pfandflasche“, krähte er, „als moderne und nachhaltige Rechtsanwältin setzen sie natürlich auf umweltschonende Verpackungen und tun damit Ihren Kunden…“ „Ich habe keine Kunden“, zischte Anne. „Ich habe Mandanten, und Sie sollten sich schon mal einen Kollegen suchen, der Sie aus einer Anklage wegen Hausfriedensbruchs raushaut.“
Sie griff sich die Karte, die ich auf den Tresen gelegt hatte. „Wassersommelier“, las sie. „Was es nicht alles gibt, was man alles nicht braucht.“ „Das ist eine anerkannte Bezeichnung“, antwortete er mit gekränktem Unterton. Sie ging gar nicht darauf ein. „So weit ich weiß, kümmert sich ein Sommelier um Güter, die zwecks Veredelung im Keller aufbewahrt werden – vielleicht hat es sich nur nicht bis zu mir herumgesprochen, warum man Wasser einlagern muss, und dann auch noch unterirdisch.“ Er schmollte. „Er gibt ja auch Brotsommeliers.“ Anne schob eine Flasche nach der anderen wieder in die Träger hinein. „Wenn Sie mal nichts Besseres zu tun haben, setzen Sie sich in den Keller und denken nach. Wasser und Brot dürften Sie ja genug haben.“
Doch so leicht wollte er sich anscheinend nicht geschlagen geben. „Ich verkaufe Ihnen hier ja keine esoterischen Getränke“, erklärte er. „die anderen haben ja Edelsteinwasser im Programm oder eine spezielle Anreicherung mit Naturstoffen, wobei ich das sogar verstehen kann, wenn man die richtigen Mikroelemente reindosiert.“ „Lieber Freund“, sagte Anne mit einer ganz gefährlichen Sanftmut, „Sie dosieren sich Ihren Kram jetzt gerne sonstwo rein, und dann dürfen Sie gehen, ohne jemals wieder zu uns zu kommen.“ Sie drückte ihm das verbliebene Glas vom Tresen in die Hand, das er in einem Zug hinunterstürzte. Vielleicht war er etwas gekränkt, oder es war das Wetter, jedenfalls ging es ihm gar nicht mehr gut, als er hastig die Tür hinter sich ins Schloss zog. „Ich muss noch die Blumen gießen“, sagte Anne und griff nach dem Kännchen auf dem Tresen. Luzie leerte die letzte halbe Flasche stillen Brunnenquells in das Kupfergefäß. „Vielleicht hat er ja recht“, antwortete sie, „und eine moderne und nachhaltige Rechtsanwältin hat für jeden Anlass das passende Wasser.“
Satzspiegel