Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXII): Der Parkplatz

29 04 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Als der Hominide anfing, sich aus seinem seit Zehntausenden von Jahren angestammten Habitat herauszubewegen, stellte sich mittelfristig die Frage nach dem Transport unhandlicher Objekte. Pferd, Esel und Kamel waren nur drei Möglichkeiten, mit Sack und Pack über schwieriges Gelände zu ziehen, falls sich Ausgangs- und Zielpunkt nicht auf dem Wasserweg verbinden ließen. Da lag die Nähe zum Nutztier noch in praktischen Erwägungen begründet – Haus und Stall waren nicht selten unter einem Dach, was in kalter Witterung auch Wärme lieferte. Doch schon mit der Kutsche schwand die Fühlung, zumal sie nur von einer begüterten Minderheit als Fortbewegungsmittel unterhalten wurde. Die engen Gassen der Stadt waren verkehrstechnisch gar nicht auf derartige Konstruktionen vorbereitet, zumal dann nicht, wenn sie aus Platzgründen eine Menge Leute für Handel, Handwerk und allerlei krumme Geschäfte aufnehmen mussten. Keiner war an den ratternden Kästen interessiert, die geräuschvoll auf dem Pflaster holperten, an Hausecken stießen und die natürliche Gangart des Menschen störten. Was also brachte uns auf den bescheuerten Gedanken, das mit Parkplätzen zu versuchen?

Deutschland hat grob gerechnet zwei davon pro Einwohner, obwohl nicht einmal jeder ab legalem Alter ein Kraftfahrzeug besitzt. So ist durch das Auto, das vor der Wohnung, dem Arbeitsplatz, dem Supermarkt oder dem nächstgelegenen Bahnhof steht, im Naherholungsgebiet, in der Tiefgarage, an der Autobahnraststätte oder vor dem Friedhof, eine immense Fläche sinnlos verkloppt, zuzüglich der gefühlten fünf Viertel Standstreifen in den Städten, die als Reservoir für die sich langsam leerenden Asphaltareale dienen, die ihre Blechlawine jeden Tag wieder in die Landschaft schwiemeln. Diese simultane Verkehrs- und Bauzerstörung, die das als christliches Abendland geplante Gepräge westlicher Gestaltung unter dem Vorwand der Verwertung von Mensch und Maschine, letztlich aber nur der des Kapitals, in verfüg- und verschiebbare Materie wandelte und noch wandelt, macht aus Metropolen schnell durchfahrbare Klappkulisse, die sich easy vermarkten lässt, wo immer man aussteigen kann.

Im Grunde ist der Parkplatz der natürliche Feind des zwangsautomobilen Menschen. Nie ist er da, wo man ihn braucht, meist gibt es davon zu wenig, weil der Autoverkehr mit der linearen Anlage von Stellplätzen exponentiell anschwillt, sie sind zu eng und zu klein, nicht barrierefrei und konstanter Quell der Frustration für alle Kfz-User. Wie es der Markt nun einmal vorschreibt, zocken Körperschaften und Konzerne mit Fleiß den ruhenden Verkehr ab, mit Parkuhren, Parkscheinen, Höchstparkdauern, alles im Preisbereich, der für andere Dienstleistungen ohne nennenswerten Kundenvorteil dem Deppen in die Nähe einer Hirnembolie treiben. Zwar kann er auf der Suche nach einer Freifläche zehnmal um den Häuserblock heizen, um danach seine Einkäufe doch wieder eine Stunde lang durch die Gegend zu schleppen; er kann aber auch kurz die Zeit aus den Augen verlieren, voll in die Bußgeldfalle tappen und Spaß mit saftigen Strafgebühren haben. Der Gourmand der Schotterverschwendung plant für den Besuch im Shopping Center gleich drei volle Stunden ein, um sich den Nasenstüber zu ersparen, und berappt für den Sicherheitspuffer doppelt. Dazu kommen Kraftstoff- und Nutzungs-, Umwelt- und Arbeitszeitkosten, die allein die Jagd nach der Parkbucht verursachen: jährlich 40 Milliarden. Gut, dass das auch alle Radfahrer subventionieren.

Hat der Blechdödel die leere Lücke erst einmal entdeckt und zwängt den modischen Straßenpanzer hinein, stellt er nicht selten fest, dass in den Jahren nach dem letzten architektonischen Upgrade die Seitenstreifen nicht gerade breiter wurden – das hat der Führer nach dem Krieg also nicht viel größer und schöner aufgebaut, Volkswagen hin oder her. 40% der Autounfälle entstehen beim Rangieren auf dem Terrorterritorium piepend rückwärts fahrender Stahldinger, durchschnittlicher Vollkaskoschaden: 2.200 Euro. Etwa 42 Stunden Lebenszeit verbringt der Bekloppte mit dem schmerzhaften Prozess der Parkplatzfindung, Ein- und Ausfahren, und dem lieblichen Knirschen am Kantstein, wenn die Felge ein letztes Mal Lebenszeichen von sich gibt.

Nur eins bringt den Nanodenker kurzfristig in den Zustand der Zurechnungsfähigkeit, und das ist das Hindernisrennen für alle, die gerade aus dem Auto ausgestiegen sind und sich wundersamerweise in fluchende Fußläufige verwandeln, die von Honks ohne Sinnesorgane und einer Reaktionszeit auf der Minutenskala fröhlich zu artistischen Übungen auf dem Gehweg getrieben werden. Die Vergeudung des urbanen Raums feiert sich gerne mit Blutopfern und Hässlichkeit, während die Mobilpest von einer Standfläche zur nächsten bollert, um dort wieder in hoheitsvoller Bewegungslosigkeit zu vegetieren. Im Falle von Kamel und Pferd, Esel und Kutsche wäre das wenigstens ästhetisch erträglich, würde weniger Todesopfer fordern, weniger Feinstaub und Gestank verursachen und besser sein für das, wofür wir die Städte überhaupt gebaut haben. Aber dann gibt’s ja Beknackte, die das Auto brauchen, weil sie deshalb aufs Land gezogen sind. Wegen der Parkplätze.