Lebensrisiko

2 05 2022

„Machen Sie dem Einbrecher auf jeden Fall klar, dass Schusswaffengebrauch gesellschaftlich als ein klarer Verstoß gegen zivilisierte Umgangsformen gilt. Scheuen Sie auf keinen Fall die Konfrontation: Sie sind in diesem Fall im Recht. Das dürfen Sie nie vergessen, sonst fühlt er sich am Ende noch in seiner Position bestätigt.

Wir können jetzt nicht einfach so eingreifen, das wäre am Ende sogar Einmischung in Ihre inneren Angelegenheiten. Sie dürfen hier zum Beispiel die einzelnen Rechtsbereiche nicht einfach vermischen. Dass Sie dort im eigenen Haus auf Ihrem eigenen Grundstück wohnen, ist vom bürgerlichen Recht in allen Facetten abgedeckt, Ihr Eigentum wird an dieser Stelle auch niemand bestreiten wollen, und wenn Sie Hausbesitzerin sind, genießen Sie auch einige staatliche Privilegien. Hier haben wir es mit einer strafrechtlich relevanten Auseinandersetzung zu tun, und da dürfen wir als neutrale Behörde, die sich dem Ausgleich verpflichtet fühlt, nicht einfach Partei ergreifen. Eigentum verpflichtet schließlich, das steht schon im Grundgesetz, und Sie sollten jetzt mal überlegen, ob Sie das immer ernst genommen haben. Vielleicht haben Sie den Täter früher schon einmal provoziert durch Ihren Besitz?

Sie haben das Haus geerbt? Sehen Sie, da fängt dann schon das erste Missverständnis an: Erben ist an sich nichts Schlechtes, die meisten Unternehmen sind ja geerbt, die größeren Privatvermögen auch, aber damit können Sie die Steuer bescheißen, Ihren Angestellten klarmachen, dass sie Dreck sind, und dem Staat mitteilen, dass er sich seine Gesetze da reinstopfen soll, wo die Sonne nicht scheint. Wenn Sie zu diesem Einbrecher keinerlei geschäftliche Beziehungen unterhalten, die Arbeitsplätze oder Exporte für die deutsche Wirtschaft sichern, dann ist das eine Sache, mit der wir so gar nichts mehr anfangen können. Sie müssten sich jetzt schon mal überlegen, was Sie eigentlich wollen. Wir sind auch nicht für alle zufälligen Entwicklungen zuständig.

Ihr Auto steht auf der Einfahrt? Da wären wir auf jeden Fall schon mal bei strafverschärfender Mitschuld. Sie müssen doch einem Einbrecher nicht auch noch Ihren materiellen Besitz unter die Nase reiben – kein Wunder, dass er sich provoziert fühlt. Da müssen Sie jetzt auch nicht erklären, dass Sie als einzige Anwohnerin eine Alarmanlage im Haus haben, während die anderen sich nur Attrappen an die Fassade kleben. Krasse Fehlinvestition, sage ich da nur. Wenn Sie schon demonstrieren, dass Sie mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben als der Rest der Nachbarschaft, wundern Sie sich noch, dass Sie überfallen werden und nicht die anderen?

Wir werten das hier bisher nur als Einbruch, da wir uns nicht vor Ort von den Voraussetzungen für einen Raubüberfall haben überzeugen können, und wir kommen natürlich erst, wenn wir überzeugt sind, dass es sich nicht um einen Einbruch handelt. Die Polizeiarbeit ist von vielen Umständen geprägt, unter anderem von der Tatsache, dass wir es mit Kriminellen zu tun haben, die bei jeder Gelegenheit wieder zuschlagen. Wir sollen wir dann noch auf solche Anzeigen reagieren, bei denen wir von hier aus gar nicht beurteilen können, was das ist und wie es sich entwickelt?

Er hat jetzt von innen die Fenster zerschossen? Das ist gut, das gilt schon mal nicht als Straftat im öffentlichen Raum, bleiben Sie also ganz ruhig. Sobald der Einbrecher das Grundstück verlässt, ist von einer Straftat auszugehen, für die öffentliches Interesse besteht. Aber dann müssen Sie leider auch damit rechnen, dass wir diesen Einbruch, Raub oder Hausfriedensbruch nicht mehr verfolgen, weil sich die Straftaten auf Ihrem Anwesen ja nicht mehr im Zusammenhang mit der öffentlichen Schießerei… – Jetzt bleiben Sie mal ganz ruhig, ich lasse mich von Ihnen nicht anschreien. Natürlich ist das unschön, wenn in Ihrem Haus geschossen wird. Aber sind wir denn dafür verantwortlich, dass Sie in Ihrem Wohnzimmer keine kugelsicheren Scheiben haben? Man muss doch in einer solchen Umgebung immer damit rechnen, dass man überfallen und ausgeraubt wird, da kann man doch nicht plötzlich so tun, als sei das eine totale Überraschung?

Wie gesagt: Sie gehen jetzt am besten mal zu diesem Einbrecher und sagen ihm, dass Sie sich mit ihm auf einen vernünftigen Ausgleich verständigen möchten, weil das ja auch in seinem Sinne sein muss. Passen Sie ein bisschen auf, dass er nicht auf Sie schießt, Sie kennen ja das Mobiliar besser und wissen genau, wo Sie in Deckung gehen können. Ich nehme an, Sie sind für etwaige Schäden gut versichert? Meine Güte, ein gewisses Lebensrisiko müssen wir alle eingehen, das ist nun mal der Preis für ein Leben in einer Gesellschaft, die unser Recht auf Freiheit gegen die anderen verteidigt. Wenn er auf Sie schießt, denken Sie immer daran: Sie sind ein leuchtendes Beispiel für die vielen Besitzer von Eigenheimen, die ihre Existenz nicht einfach in die Hände eines abstrakten Staates legen, sondern mit dem eigenen Mut für die eigenen Rechte… –

Hallo? waren Sie das eben? Woher soll ich denn wissen, wer da geschossen hat, Sie rufen doch mich an und nicht ich Sie? Jetzt werden Sie mal nicht pampig, Sie sind eine erwachsene Staatsbürgerin und können Ihre eigenen Angelegenheiten regeln, oder wozu gehen Sie mir jetzt auf den Zeiger? Es brennt? und Sie sind im Obergeschoss? Hätten Sie nicht früher Bescheid geben können, dass Sie mit einem Brand rechnen, und hätten Sie für diesen Fall nicht einfach woanders hingehen können? in den Keller zum Beispiel? Hallo? Hallo!?

Aufgelegt, aber wieder so typisch für die Leute. Na egal. Endlich Frieden.“