Keine Kunst

5 06 2022

für Kurt Tucholsky

Man geht bei Hoffmanns gerne mal
in eine Operette.
Für ihn bedeutet dieses Qual,
nichts ist, wie er’s gern hätte.
Die Gattin steht wohl vor dem Schrank,
sucht Blusen, Röcke, Kleider,
ihn macht allein der Anblick krank.
Sie merkt davon nichts. Leider.
Soll sie das Blaue tragen, reich
an Falten und sonst schlichter?
Das Grüne fällt hingegen weich –
er schluckt. Und also spricht er:
  „Ich sehe keinen Unterschied!
  Wenn man den Unterschied nicht sieht,
  dann gibt es wohl,
    wie man sieht
      keinen Unterschied!“

Jüngst sah man in der Galerie
Herrn Schmitz vom Kunstvereine.
Vor manchen Bildern standen sie,
vertretend ihre Beine.
Hier sah man eine Venus, nackt
nebst kleinen Amorengeln.
Ein anderes war recht abstrakt.
Man kann dort nichts bemängeln.
Ob das nun Kunst sei, fragt man ihn –
er räuspert sich emphatisch.
Dass er als sachkundig erschien,
sprach er dann diplomatisch:
  „Ich sehe keinen Unterschied!
  Wenn man den Unterschied nicht sieht,
  dann gibt es wohl,
    wie man sieht
      keinen Unterschied!“

Wir haben hier eine Partei,
dem Christentum verpflichtet,
und eine, die sozial zu sein
sich selbst zu gern andichtet.
Guckt man einmal nicht ganz genau,
verwechselt man die beiden.
Von links, von rechts – auch der Radau
ist kaum zu unterscheiden.
Und kommt der Wahlkampf irgendwann,
das Stimmenfanggebettel,
steht in der Butze unser Mann
verzweifelt vor dem Zettel:
  „Ich sehe keinen Unterschied!
  Wenn man den Unterschied nicht sieht,
  dann gibt es wohl,
    wie man sieht
      keinen Unterschied!“