Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXVIII): Lärm

10 06 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Hin und wieder, wenn der geneigte Bürger so gar nichts Besseres zu tun hat, überlegt er kurz, ob sich der Auftritt mit einer Mistgabel in seinem Alter noch schickt, um dann mit erhobenem Krückstock plärrend am Zaun vor dem Kindergarten zu stehen, bebend in den morschen Knochen, kurz vor dem finalen Bersten des Überdruckventils, wie er seine Gehhilfe schüttelt und mit Klage droht, Klage vor einem ordentlichen Gericht. Die Zöglinge aber, die nur tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht daran hindert, haben nur gespielt, und das mit der ihnen eigenen Geräuschentfaltung. Für Anwohner, die aus der Großstadt kommen, an der Hauptverkehrsader gelebt haben, ist diese Vorortszenerie Kriegsgrund und Rechtfertigung in einem. Wo auch immer in den überschaubaren Besiedelungen der Menschen die Knalltüten auftauchen, die die Korrelation von Randlage und Hühnerzucht intellektuell abrauchen lässt, jene unterkomplex veranlagten Klötenkönige, die neben einer dreihundert Jahre alten Kirche ihre Behausung bauen, um dann juristisch gegen das Glockengeläut vorzugehen, geht es vorherrschend um Kenntnisnahme anderer Existenzen außerhalb des eigenen Schädels, vulgo: um Lärm.

Schranzt der Nachbar mit dem Motormäher über seinen Rasen, entwickelt der durchschnittliche Dummschlumpf ad hoc Toleranzen jenseits der bisherigen Vorstellungskraft. Es hätte ja auch sein eigenes Gras sein können, er selbst der Schnitter und die Uhrzeit ähnlich ungünstig zur Mittagsruhe gelegen. Grenzfälle wie die Tischkreissäge beim Bau, gleichförmiges Tackern, Krampe um Krampe, das ist Ausdruck fleißiger Tätigkeit, wie sie nun mal zur bürgerlichen Gesellschaft gehört. Dreht jedoch der Anrainer Chopin bei geöffnetem Balkonfenster ein klein bisschen lauter, schwillt dem Popelprinzen der Kamm. Spielt er dann die Polonaise As-Dur op. 53 gar selbst, was am Konzertflügel den Einsatz des Kopfhörers unmöglich macht, wirft der Hansel seinerseits die Stalinorgel an, um dem schier völkerrechtswidrigen Treiben ein fulminantes Ende zu bereiten. Das knarzende Kreischen einer nur unzulänglich geölten Kinderschaukel hat sich längst einen Namen in der Kriminalstatistik gemacht, es steht knapp hinter dem Radau, den zwei bis drei kleine Kinder bei der Benutzung eines aufblasbaren Schwimmbeckens erzeugen. Nach Ansicht der von Recht und Gesetz getriebenen Bevölkerungsgruppe ist dieser Doppelstandard durchaus legitim, gilt er doch auch für das Heimtier: der eigene Hund ist keine lästige Schallquelle, er bellt ja bloß.

Die einfachste psychoakustische Deutung ist die, dass die meisten Bescheuerten rhythmisches Gedonner aus der Maschine oder das monotone Rauschen jenseits des Autobahnzauns als das ausblenden, was es ist: Hintergrundrauschen. Auch das schwiemelt noch genug Kortikosteroide in die Blutbahn, lähmt die Konzentration und erschwert den Schlaf. Die schädigende Wirkung von Knall und Krawall sind bekannt, sie führen über Bande nicht selten bei den Betroffenen zur Entfaltung von Geschrei und Gewummer, weil man ja sein eigenes Wort in der ohrenbetäubenden Umgebung nicht mehr versteht. Ein sich selbst organisierender, ins Destruktive hochschaukelnder Prozess führt dann dazu, dass ein vom motorisierten Brüllmüll in den Wahnsinn getriebener Hohlrabi das Kind am Zaun anpöbelt, weil es ihm zu laut atmet.

Wir verfolgen die Lärmemission nur da, wo der vermeintliche Todfeind mit Bordmitteln zur Strecke gebracht werden kann, statt gegen den Stresspegel in der Einflugschneise zivilen Ungehorsam zu üben, einer Gebietskörperschaft ein Rudel Anwälte auf den Hals zu hetzen, Scharen von Gutachtern durch die Landschaft zu schicken und damit der Ordnung mit Schmackes eins in die Kniekehle zu kloppen. Hat der gemeine Dämlack erst einmal eine ihm nicht überlegen scheinende Stelle im System entdeckt, auf die er sich mit seiner Aggressivität stürzen kann, so wird er sich in guter alter Manier aus der Opferrolle gegen alles wenden, was ihm nicht schadet, solange er es nur verbieten kann. Ist der sich Beschwerende dann seiner Meinung nach auch noch im Recht, weil die anderen bei offenem Fenster böser Musik aus Stromgitarren lauschen, kommt jene hässliche Verhaltenskomponente dazu, bei der jeder Zweck jedes Mittel heiligt. Auch hier bleibt die Kriminalstatistik nicht selten stumm.

Und so ruft vieles Streit hervor, was als lästig empfunden wird, obwohl es zwingend notwendig ist, etwa der Mensch, der früh am Morgen Schnee von den Wegen schippt, den Rechen über feuchtes und rutschiges Laub kratzt, die Tonnen an den Rand der Zufahrt rollt. Wären Schnee, Blattwerk und Kehrricht nicht entfernt, der Bescheuerte hätte erst recht einen Grund gefunden, sich aufzuplustern, damit seine Wehklage angemessen Resonanz findet im gellenden Gezänk. Und da sind wir wieder bei dem geifernden Gevatter, der vor der Kita steht und nachdrücklich seine Ruhe haben will. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre es, dem Alten seinen Stock wieder in die Austrittsöffnung zu pfropfen, weil sein Geschrei den Anwohnern auf die Plomben geht. Eine sozial durchaus verträgliche Maßnahme, bei der alle aufatmen. Hörbar.