Anne rümpfte die Nase. „Ich will ja nichts sagen“, sagte sie, wie sie immer sagte, wenn sie unbedingt etwas sagen wollte. „Ich stelle nicht diese Maschine in mein Büro, um einen vorsintflutlichen Apparillo von Breschkes Tochter dafür zu bekommen!“
Immerhin hatte sie recht; ob in meinem eher bescheiden eingerichteten Arbeitszimmer oder in der gerade noch aufrecht begehbaren Küchenabseite ihrer Kanzlei, der morgendliche Kaffee gehörte zu den Grundvoraussetzungen, um einen Tag halbwegs lebend zu beginnen, wenn man ihn denn überstehen wollte. „Ich habe damals für ein Heidengeld diesen Kaffeevollautomaten abgeschafft, weil mir geraten wurde, dass das für die Mandanten genau richtig ist!“ „Das ist nicht verkehrt“, entgegnete ich, „Du bist ohne Kaffee morgens nicht ansprechbar, hast ein seltenes Talent, die Presskannen wenige Tage nach Anschaffung am Boden zu zerschmeißen, und es gibt kein Spielzeug, für das Du nicht jeden noch so hohen Preis bezahlen würdest.“ Sie zog ihre Augenbrauen gefährlich schnell nach unten. „Ich habe genau, warte… auf jeden Fall war es viel preiswerter als in der Kalkulation!“ Was natürlich angesichts der Wasserleitungsschwäche, die durch einen Entkalkungsbeauftragten behoben werden musste, der dafür eine solide Monatspauschale kassierte, auch wenn er sich gerne mehrere Wochen Zeit ließ mit der Instandsetzung, recht teuer war.
Aber wir hatten ja andere Sorgen. Luzie, seit Anbeginn Büroleiterin und gute Seele des Hauses, hatte endlich an einem sehr schönen Abend nach der Premiere im Freilufttheater Bad Gnirbtzschen von ihrem Gefährten einen Antrag erhalten und ihn voller Glückseligkeit angenommen. Minnichkeit, der in der Opernfreundin seine Seelengefährtin gefunden hatte, ließ es sich nicht nehmen, uns zur Trauung aufs Wasserschloss Poggenmootsch zu laden. Die Frage blieb: was schenkt man da?
„Ich hatte da noch so einen Prospekt.“ Anne zog die unterste Schreibtischschublade auf. Ein Wunder, dass die sich überhaupt öffnen ließ angesichts der herausquellenden Papiere; es musste im Inneren eine Quantenverschränkung stattgefunden haben, bei der sich sämtliche Elementarteilchen in ihre Zwischenräume gequetscht haben. „Personalisierte Sektkelche“, las ich. „Das ist eine grandiose Idee, wenn die beiden nach einem Glas Schaumwein nicht mehr wissen sollten, wer wie heißt.“ „Es ist ja auch nur ein Vorschlag“, murmelte sie, „und sie können ja damit jedes Jahr auf ihren Hochzeitstag anstoßen.“ Ich überlegte. „Wäre dann eine Gravur des Datums nicht der ungefährlichere Weg, falls daraus eine wiederkehrende Ehekrise entsteht?“ Sie war sichtlich verärgert und blätterte weiter. Neben Gartenlaternen und Türschildern ließ sich offenbar jede Menge Schrott gravieren, womit auch immer. „Im Falle einer Trennung wird es natürlich nicht einfach“, wandte ich ein. „Ein Essbesteck ließe sich mühelos teilen, mit ungravierten Badebürsten hat man auch nach der Scheidung Spaß, aber…“ Ihr Blick machte mir unmissverständlich klar, dass ich zwar recht hatte, das Thema jedoch trotzdem nicht zielführend war.
Allerlei Kitsch mit Herzchen zum Aufhängen, Ankleben, Annageln oder Verschrauben quoll aus einem Prospekt für wohlfeile, aber geschmacksfreie Geschenke. „Ein Kirschholzbrettchen, das Tag für Tag erinnert, dass hier ein Kirschholzbrettchen in der Küche hängt.“ Anne knirschte mit den Zähnen. „Man könnte ja vielleicht den Namen in das Ding meißeln.“ Ich schüttelte den Kopf. „Luzie heißt nicht nur weiterhin Freese, sie wohnt seit geraumer Zeit zusammen mit ihrem künftigen Gatten.“ Die Kollektion ergoss sich in Fußmatten, Flaggen für den bürgerlichen Balkon und einem Töpfchen mit Rosmarin. „Das gilt als Zeichen von Liebe und Verbundenheit“, las Anne vor. „Schön.“ Sie blickte mich verständnislos an. „Für den Preis bekommt man im Baumarkt ein Dutzend Töpfe, wir sollten ein Geschenk mit Eigenanteil in Betracht ziehen.“
Die schlimmeren Dinge, dort nämlich, wo sich Marketingfachkräfte in die Niederungen des Humors begaben – oder dessen, was sie dafür hielten – Paarsocken, ein Flitterwochenratgeber oder ein Erste-Hilfe-Buch für den ersten Ehekrach, kamen gar nicht erst in Betracht. „Meine Güte“, stöhnte Anne. „Was haben die Leute denn früher geschenkt, als es diese ganzen schrecklichen Shops noch nicht gab?“ „Toaster“, erläuterte ich, „Töpfe und Pfannen, Mixer, Eierkocher und allerlei Zeug für den neu gegründeten Hausstand.“ Da auch dies ausschied, näherten wir uns dem gefährlichsten Teil der Prospekte, jene, die Gutscheine verkauften für allerhand Erlebnisse zu zweit, vom Klettern und Hüpfen bis zum Fliegen oder Tauchen, alles an Fallschirmen und Sprungseilen, unter Wasser oder in der Karibik, wenn man das nötige Kleingeld zu zahlen bereit war. „Sie wird mir ins Gesicht springen, wenn ich Ihr einen Gutschein für den Hochseilgarten schenke.“
Und da kam sie auch schon, nicht so pünktlich wie sonst, doch die Umstände erklärten ihre Verspätung. „Dieser Mann ist ein Nervenbündel“, zischte Luzie. Wie sie berichtete, war soeben das heimische Brühgerät ausgefallen, ein Filter ließ sich bei Luzie nicht auftreiben, da sie ausschließlich Tee trank, und Minnichkeits Versuche, sich die lebensnotwendige Koffeindosis zu verschaffen, hatten zu einem mittelschweren Desaster geführt. Wir blickten einander stumm an. „Eigentlich sollte es eine Überraschung sein“, sagte ich. Anne stellte die Kaffeemaschine auf den Anmeldetresen. „Wenn man schon etwas zur Hochzeit schenkt, sollte es etwas Persönliches sein – etwas ganz Persönliches.“
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