Zerfallsprodukte

28 06 2022

„Nein, es gibt hier keinen Knopf zum Einschalten, Lindner. Und jetzt nehmen Sie die Wurstfinger vom Steuerpult, sonst macht die nächsten Überstunden zur Rettung der Wirtschaft Ihr Gesichtschirurg.

Erst Abschnitt A, dann Abschnitt B und dann Abschnitt C. In drei Monaten ist das alles entkernt und kann von der nächsten Kolonne niedergerissen werden. Den Innenbereich können wir wegen der Strahlung noch nicht demontieren, das machen die Spezialisten in den kommenden Jahren. Nein, das kann man nicht weiterlaufen lassen. Um in einem Kernkraftwerk Strom zu erzeugen, braucht man spaltbares Material, und wenn das aufgebraucht ist, kann man es nicht mehr einsetzen. Auch nicht für ein paar Jahre, Spahn. Und wenn Sie jetzt nicht die Sicherheitshandschuhe anziehen, stopfe ich Ihnen die Dinger da rein, wo sonst die Immobilienmakler raushängen.

Wie oft müssen wir diese Diskussion denn noch führen? Natürlich gibt es noch Uran. Aber so, wie es in absehbarer Zeit keine Braunkohle mehr geben wird und kein Erdöl, wird es irgendwann auch kein Uran mehr geben. Dann nehmen Sie Uranerz, Wissing? Gut aufgepasst, leider nicht in der Schule. Sonst wüssten Sie, dass wir das Uranerz bisher aus Russland bezogen haben. Und selbst wenn wir auf den Gedanken kämen, weiterhin Uranerz von den Russen kaufen zu wollen, wer garantiert uns, dass die uns auch weiterhin Uranerz verkaufen? Der Markt? Weil die ja ein Interesse an der deutschen Wirtschaft haben? Sagen Sie mal, haben Sie vorhin ein paar Mikrosievert zu viel abgekriegt?

Die Kabel lassen sich noch verwenden, sonst wird das Kupfer wiederverwertet, und die restlichen Baustoffe kommen gleich in den Container. Unsere Sondermülleinheit holt dann Asbestverkleidungen und Mineralwolle aus den Wänden, die dann nach gesetzlichen Vorgaben auf die Deponie kommen. Lindner, ich hatte gesagt, dass ich mit Ihnen nicht diskutiere, schon gar nicht ergebnisoffen. Man kann einen Kernreaktor nicht weiterbetreiben, wenn man oben Uran reinsteckt und unten einen Knopf drückt. Dazu braucht man das entsprechende Fachpersonal, und das ist gekündigt und teilweise schon aus dem Betrieb. Nein, das kann man nicht mit Überstunden lösen. Wenn Sie zwanzig Ärzte brauchen, die nicht im Krankenhaus beschäftigt sind, nützt es Ihnen auch nichts, wenn dafür hundert Hausmeister zehn Überstunden in der Woche schieben. Und wenn Sie jetzt nicht sofort aufhören, an der Steueranlage herumzuspielen, wird es gleich ganz kurz ganz laut.

Wir arbeiten hier nach strikten gesetzlichen Vorgaben, man kann Bauschutt nicht einfach auf die Hausmülldeponie kippen. Sämtliche Anlagen sind erhöhter Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen, wir müssen jedes Objekt beim Rückbau freimessen und dürfen es erst dann entsorgen. Raten Sie mal, warum der ganze Vorgang etwa fünfzehn Jahre in Anspruch nimmt. Nein, man kann das hier nicht einfach zu Sozialwohnungen umbauen. Tun Sie mir einen Gefallen, Spahn, sobald Sie ein neues Fachgebiet gefunden haben, wovon Sie auch keinen blassen Schimmer haben, labern Sie damit eine Parkuhr voll. Und nicht mich.

Ja, Wissing, gut aufgepasst. Es gibt auch in Kanada Uran und in den USA. Das verbrauchen zum Beispiel die Amerikaner und die Kanadier. Und in Kasachstan und Usbekistan gibt’s welches. Sogar in Sachsen. Nur ist da der Abbau derart teuer, dass die Sache längst eingestellt wurde. Auch wegen der Umweltschäden durch Zerfallsprodukte, die sich unkontrolliert ausbreiten. Das haben Gase so an sich. Sie müssten das doch kennen, so viel Heißluft, wie Sie produzieren.

Nein, man kann hier nicht einfach oben Uran in den Reaktor kippen. Ich tanze es Ihnen auch gerne noch mal vor, Lindner. Man braucht angereichertes Uran, um Brennstäbe herzustellen. Sobald Sie eine entsprechende Menge an hochangereichertem Uran haben, das zur Produktion von spaltbarem Material taugt, können wir damit Brennstäbe fabrizieren, die sich für den individuellen Reaktortyp eignen. Wir gehen mal von anderthalb bis zwei Jahren aus, dann dürfte das klappen. Dann dauert es noch ein wenig, bis der Reaktor wieder hochgefahren ist, Personal haben Sie dann ja schon besorgt, und dann kann der Spaß auch schon losgehen. Das Problem mit der Betriebsgenehmigung und den übrigens EU-weit vorgeschriebenen Sicherheitsüberprüfungen, die nur deshalb nicht durchgeführt wurden, weil die CDU-geführte Bundesregierung sie unmittelbar vor einer Stilllegung als zu teuer ansah, das haben Sie ja sicher im Blick. Kleiner Tipp: suchen Sie sich jemanden, der was von Finanzen versteht.

Sie wollen Uran aus Kernwaffen aufbereiten, Spahn. Das ist lustig, weil das theoretisch ginge, aber nicht schneller ist. Falls Sie irgendwann Ihren Fetischismus zum Hauptberuf machen sollten, bitte. Aber wir haben hier eine Situation, die schnelles Eingreifen erfordert, weil wir nicht wissen, wie sich die Energiedeckung in näherer Zukunft entwickelt. Wem das Haus abbrennt, dem empfehlen Sie auch keinen Baukredit, damit er in fünfzig Jahren endlich wieder ein Dach über dem Kopf hat, obwohl: doch, Sie täten das.

Und jetzt stellen Sie freundlicherweise Ihre eher destruktive Herangehensweise mal ein und machen Sie sich an die Arbeit. Sämtliche Betreiber von Kernkraftwerken in Deutschland halten Ihr Gefasel für rückständig, und selbst das ist ja nicht neu. Es sei denn, Sie wollen sich mal wieder profilieren als populistische Clowns, die physikalisch unmögliche Dinge fordern. Und jetzt nehmen Sie gefälligst die Hände aus den Hosentaschen!“


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