
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Einer der ersten muss Nggr gewesen sein, der mit der Abstimmung nicht einverstanden war. Er hatte sich an die Hauptfrauen seines Schwagers herangeschmissen, zweimal im Vollrausch auf das Feuer uriniert, die Speere der beiden besten Jäger mutwillig zerknickt, da sie die beiden besten Jäger waren, und nun wollten sie ihn nicht zum Chef der Sippe wählen, obwohl er der einzige überlebende Sohn seines Vaters war, warum auch immer. Ihm blieb nichts anderes übrig, als eigenmächtig die Regeln zu ändern, nach denen die Wahl auch dann rechtmäßig sei, wenn sie gar nicht stattgefunden habe. Er wurde ein Opfer der eigenen Hybris, mit wenig Prunk in einem Erdloch entsorgt, in dem auch die Abfälle der Gemeinschaft lagen. Nirgends wird heute noch seiner gedacht, erst recht nicht als eines frühen Märtyrers für den Freiheitsbegriff der neoklassischen Ideologie, der sich Begründungen nach Lust und Laune zurechtschwiemelt.
Dabei passen Neoliberalismus und Freiheit so gut zusammen wie der Atheismus zur katholischen Kirche – die Freiheit des Denkens ist bereits eine Zumutung für die Führungselite, wenn sie nicht ihr selbst vorbehalten bleibt, die Freiheit des Handelns ohnehin, weil sie die Gesellschaft und erst recht ihre Voraussetzungen verändern könnten. Für eine echte liberale Bewegung wäre dies die unerlässliche Voraussetzung, nicht aber für eine Marktsekte, die sich ihre Realität aus Schmierkäse schnitzt, um die Einschränkungen ihrer Macht zu verhindern. Das Kernargument sogenannter freiheitlicher Parteien, die Ablehnung ihrer Entscheidungen zu kritisieren, die erst nach dem Einzug in die Verantwortung getroffen werden, wenn das Wahlprogramm obsolet ist, es ist das Gewäsch von den angeblich bei allen auftretenden Positionen, die man als Wähler mit in Kauf nehmen muss, obwohl man sie nie unterstützt hätte. Dass diese Entscheidungen bald den größten Raum ihrer Politik einnehmen und sich gegen die gesamte Gesellschaft richten, ist kein Zufall. Es ist das Märchen von der Tyrannei der Mehrheit: wenn es für alle gut ist – soziale Sicherheit, kostengünstig organisierter ÖPNV, einkommensunabhängige Bildungschancen – muss es für die Elite schlecht sein und damit auch für die Gesamtheit, der man die Freiheit verbietet.
Im Gegensatz zum herkömmlichen Faschismus, der seinen Machtanspruch wenigstens formal auf die Durchsetzung einer angeblich höherwertigen Gruppe gründet, negiert der Neoliberalismus die Bedeutung von Macht, erst recht ihres Missbrauchs, für die Bevölkerung, die ja nach seinem Modell als Ansammlung von Individuen selbst immer die Möglichkeit besitzt, sich zur Wehr zu setzen. Leider funktioniert ein Gemeinwesen nicht nach den Regeln des Marktes, auf dem alle Teilnehmer mit demselben Einfluss agieren. Weder Abhängigkeit und Sicherheiten spielen dabei eine Rolle noch Informationsvorsprünge oder schlicht das Wissen um die Risiken des eigenen Handelns, das für Konzerne nicht mehr existiert, weil sie sich bei Fehlentscheidungen von dem Staat entschädigen lassen, der laut politischer Theorie gar keine Berechtigung dazu hat, da dies eine Verzerrung des Marktes darstellte. Mit allerlei rhetorischem Tischfeuerwerk winden sich die Ideologen aus der Falle, als hätten sie den Stein erschaffen, den sie nicht heben können, um ihn dann selbstverständlich wegzuschmeißen. Die Quintessenz dessen ist reine Demokratieverachtung, nicht mit dem Endziel eines rein militärischen Führerstaates, sondern mit der Absicht, alle demokratischen Kräfte auszuschalten, die den wirtschaftlich-finanziellen Komplex in seinem Selbstzerstörungswahn hindern könnten. Um die demokratischen Prozesse zu torpedieren, benutzt der Neoliberalismus gewohnheitsmäßig die Rituale des Sparzwangs: für Arme ist kein Geld da, für Autofahrer schon, und wenn irgendein Experte sich mit Fantasiezahlen die Sache zurechtgerechnet hat, wird sie schon vernünftig sein.
Der Homo oeconomicus, die Wahnvorstellung der strikt nach dem Lustprinzip lebenden Schnösel, ist noch nirgends gesichtet worden. Auch dieser Pseudoadel, der größtenteils soziale Akzeptanz und Bindung sucht, nur eben als Mitesser am Arsch der Konzernleiter, er handelt selten rational und meist aus reiner Selbstüberschätzung. Dass das Überleben der Spezies von der sozialen Fairness abhängt, die uns von den Bäumen geholt, Städte ermöglicht und Kulturtechniken entwickelt hat, das streiten diese Aluhütchenspieler tapfer ab, da es ihre Lebenslüge enthüllt: Kooperation ist die Voraussetzung für Kooperation, wer nicht kooperieren will, muss mit dem Ergebnis leben. Und plärrt dann nach dem Helfer, dem er zuvor ins Gesicht gespuckt hatte.
So steht am Ende der Entwicklung eine Kaste asozialer Ichlinge, die längst nicht mehr aus reiner Gier handelt, sondern nur noch andere schädigt, damit sie selbst besser dasteht. Kurzstreckenflüge, Wasserverschwendung und den Infektionsschutz für Arbeitnehmer zusammenstreichen, das sind die Freiheiten, für die man andere ins Verderben schickt. Es gibt keinen Grund, dieses Gesindel mit Samthandschuhen anzufassen. Irgendwo ist immer eine Grube, wo das noch hineinpasst.
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