Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXXV): Sauftourismus

29 07 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wann auch immer es schiefgelaufen sein wird: es war früh. Rrt musste jede Menge Buntbeeren kauen, die Mesopotamier sauber Bier wegeimern, in den Klöstern wurde der Stoffgehalt optimiert, doch erst der moderne Mensch kann sich seinen Filmriss mit der gewünschten Dosis ansaufen. Kein Wunder, dass moderne, auf Performance gedrillte Grützbirnen aus dieser geradezu langweiligen Hölle des Hirnlösungsmittelkonsums ausbrechen wollen, die ihnen nur den kalkulierbaren Absturz bietet, der spätestens nach einem ganzen Tag Nüchternheit wieder in die wirtschaftliche Verwertbarkeit führt. Es gibt einen Ausweg, der so ähnlich funktioniert wie des Moralisten Neigung, den eigenen Garten sauber zu halten, indem er den Müll über den Zaun schmeißt. Man gibt sich dem Sauftourismus hin.

Manche Völker sind sich auch ohne militärische Ambitionen sicher, dass Reisen alleine nicht halb so befriedigend ist, wenn man nicht anderer Leute Hab und Gut in Schutt und Asche legen kann. Erst das Bewusstsein, in einem anderen Land als besonders widerlicher Zerebraldilettant aufzufallen, löst jene Befriedigung aus, die sich zu Hause einfach nicht einstellen will, auch wenn die Muster ähnlich sind. Wie der Spießbürger reflexartig zum Lachen in den Keller steigt, weil er da sein übliches Grundniveau wiedertrifft, lagert er seine gesamten Peinlichkeiten gerne in anderer Herren Länder aus – die Gefahr, in der eigenen Nachbarschaft als zivilisatorischer Fehlversuch erkannt zu werden, ist sofort gebannt. Dass derartige Enthemmung stets im Kollektiv stattfindet, ist kein Zufall. Ein gruppendynamischer Prozess nutzt die Nähe des Gleichartigen, um eine Homogenität des Handelns zu erzeugen, und sei es die Veranlagung zum Verwahrlosen in einer Art und Weise, wie sie andere Urlaubsgestaltungen, allen voran Camping, an Intensität und Geschwindigkeit nie wird bieten können.

Wo sich der Durst als Grundemotion einer tiefenbescheuerten Gesellschaft Bahn bricht, ist der ritualisierte Drogenkonsum nicht weit. Zwar wissen geübte Trinker auch die physische Nahtoderfahrung eines Volksfestes zu schätzen, doch beschränkt sich der Besuch auf der Bierwiese meist auf ein bis zwei Tage zuzüglich An- und Abreise zu festen Terminen und unter erheblichem logistischen Aufwand sowie unter finanziellen Belastungen, die man sich auch nur einmal im Jahr leisten kann. Die eine bis zwei Wochen dauernde Druckbetankung am Strand der einschlägigen Ferienparadiese jedoch kennt weder Einlasszeiten noch Sperrstunde, erfordert keine als standesgemäß erkennbare Kostümierung, die den gemeinen Klötenkönig in etwas noch Hässlicheres verwandelt, und findet weitegehend unter Negation aller bis dahin bekannten sozialen Normen statt. Kleinere Konflikte werden ad hoc mit Fausthieben geklärt, danach liegt man sich wieder lallend in den Armen und feiert seine eigene Verrohung.

Schon wehren sich die einschlägigen Inseln gegen den Einfall hedonistischer Horden, die außer Urin und Ruin nichts hinerlassen. Doch helfen die Appelle, sich an der Düne nicht die Kante zu geben und kein obszönes Liedgut zu grölen, nicht wirklich weiter, so dass den Einheimischen nur die Bremse bleibt: kein Suff im Sand, Geldbuße beim Verstoß gegen die Verordnung, Platzverweis, Einreiseverbot im Wiederholungsfall. Da tost des Teutonen Blut im Schädel, wird er doch behandelt, wie man das sonst zu Hause nur mit Ausländern machen würde. Von Abkanzelkultur schwiemelt er sich’s zurecht, von Rassismus gegen Reisende. Doch da sind den Gastgewerbetreibenden die Treudeutschen lieber mit grauer Socke in der Trekkingsandale, die noch zünftig Kohle ins Land tragen und es nicht zum Aufmarschgebiet ungehemmter Randaleros verkommen lassen. Die einschlägigen Kneipen sind inzwischen genau so dicht wie ihre ehemaligen Gäste, doch nicht einmal die Pandemie hat das Rudel der Blödföhne vertreiben können.

Denn die Knalldeppen auf der anderen Seite des Tresens haben es den Eimertrinkern leicht gemacht. Wer einmal mit Freibier angefüttert wird, sich die Birne komplett zuzulöten, mutiert nicht plötzlich zum kulturbeflissenen Wanderer, der individualreist und die malerische Zwei-Sterne-Pension mit ohne Frühstücksangebot bucht, um der Zwangsjacke des Gymnasialpädagogen (Deutsch, Geschichte) für vierzehn Tage ledig zu sein. Währenddessen zerlegt das Gehirngestrüpp im Furor die Inklusivhotellerie, wo man erst beim Einchecken erfährt, dass es die Alkoholika nicht mehr kostenfrei gibt oder nur noch in Mengen, die nüchtern nicht zu verkraften sind. So ist nun die Abstinenz der Untergang der trinkenden Klasse, die nicht genug Barschaft am Mann trägt, um den komatösen Dauerzustand zu erhalten. Tragödien spielen sich ab an der Bar, in Tränen aufgelöste Zecher bembeln sich auf Zeit die Reisekasse hinters Zäpfchen, damit sie nach einem Tag Alkoholvergiftung den Rückflug antreten können. Gut, dass das die Champagnerleichen in Ischgl nicht sehen müssen, aber da ist sich die Mittelschicht einig. Das ist natürlich etwas ganz anderes.