Herzlichen Glückwunsch

2 08 2022

„Fünfzig Prozent, mindestens – alles andere würde die Gesellschaft als ungerecht empfinden. Wer hat, dem muss man eben auch nehmen können, damit die Allgemeinheit finanziert werden, und wem kann man sonst so viel nehmen wie diesem arbeitslosen Schmarotzerpack?

Für Sie klingt das natürlich wie der Fiebertraum eines neoliberalen Arschlochs, und ja, da haben Sie sogar recht. Der Finanzminister hat weder Kosten noch Mühen gescheut, beides natürlich zu Lasten des Staates, damit wir wieder in einer Gesellschaft leben, in der sich Arbeit lohnt. Also nicht seine, da können Sie auch lange warten. Aber grundsätzlich ist es ja so, dass man das Problem mit Arbeitslosen immer durch Druck beheben kann. Manchmal ist dann das Problem weg, noch viel öfter sind es die Arbeitslosen, aber stört Sie das?

Im Grunde ist es doch eine alte Weisheit, man muss Reichtum immer relativ sehen, und deshalb muss man das mit Armut auch. Wer den ganzen Tag ausschlafen kann, weil er arm ist, dem geht es ja in der Regel viel besser, als müsste er mehrmals im Jahr nachgucken, ob seine Dividenden rechtzeitig auf dem Nummernkonto eingegangen sind. Man muss sich um die Inspektionstermine des Dritt- bis Fünfwagens kümmern, manchmal kommt zu der Jacht noch der eine oder andere Mittelstandsjet dazu, das muss alles verwaltet werden. Wenn man nicht ganz doof ist, machen das natürlich andere für einen, aber als Schmarotzer kann man selbst im Bett bleiben, und das nennen Sie gerecht? Die, die Sie arm nennen, das sind doch im Grunde die, die das Ideal dieser Gesellschaft leben, obwohl sie dazu gar keinen Grund haben!

So eine Armutsbesteuerung hat schon ihre Berechtigung, und das meine ich nicht einmal im moralischen Sinne – da können Sie lange warten, bis der Finanzminister solche Anwandlungen hat. Nein, ich meine die Lenkungswirkung. Wenn Sie als notleidender Milliardär, der von dieser mafiösen Steuergesetzgebung gezwungen wird, sich an Recht und Gesetz zu halten, wenn Sie da vom Staat in die Mangel genommen werden, da können Sie ja gar nicht anders, als aus lauter freiheitlicher Gesinnung Ihre Steuern zu hinterziehen, die Produktion in ein Armutsland zu verlagern, wo man das Personal noch rausschmeißen darf, wenn die Leute es wagen, einen an die Tariflöhne zu erinnern, und den Rest in Steueroasen zu verschieben, wo andere für einen in den Knast wandern, wenn das aufkippt. Das muss man beachten, die schlimmen Konsequenzen haben eben auch Arme zu befürchten, wenn sie es wagen, Transferleistungen in Anspruch zu nehmen. Da ist dann eben die Hälfte weg, und wenn sie dagegen einschreiten wollen, dann müssen sie arbeiten. So viel Mut hat ja von denen kaum einer.

Sie sehen den Staat immer noch als Gesamtheit der Individuen, und da haben Sie auch recht, aber dann dürfen wir die Kollektivhaftung auch für uns übernehmen. Für in der Gesellschaft auflaufende Ungerechtigkeiten müssen dann eben die büßen, die sich gerade nicht dem Zugriff des Staates entziehen können. Theoretisch steht es Arbeitslosen ja frei, sich durch die Wahl ihres Standortes der deutschen Justiz zu entziehen. Wenn die mit dem Neun-Euro-Ticket bis auf die Caymans kommen: herzlichen Glückwunsch! Ansonsten können diese Parasiten ja mal zeigen, dass sie damit dem Solidaritätsprinzip nicht nur von irgendeiner linksgrünen Pappnase nachplappern, sondern es auch verinnerlicht haben.

Die Erwerblosen empören sich inzwischen, dass sie die höchste Steuerlast tragen, aber ich frage Sie: ist das gerecht, und wenn ja, wen interessiert das? Die Frage ist doch nicht, wer die ganzen Ampeln für Fußgänger oder Radfahrer baut und finanziert, die Frage ist doch, wer die nutzt. Haben Sie schon mal einen Leistungsträger gesehen, der im Porsche bei Rot über eine Fahrradampel fährt? Sie können Ihre Spitzfindigkeiten gleich vergesse, ich habe das mit Absicht so formuliert, deshalb: nein. Auf der Autobahn gibt es keine Fahrradampeln, erst recht keine für Fußgänger, und jetzt fragen Sie sich mal, wer die ganzen Dinger bezahlen soll. Finden Sie das okay in einem Rechtsstaat?

Wir haben diese Sparerquote, die explizit für Hartz-Empfänger angedacht war, nicht ohne Grund so hoch angesetzt. Das sollte heißen, wer diese sehr weit auslegbare Summe, die im Grunde das ganze Existenzminimum ausmacht, eigenverantwortlich einspart, kann im Ermessensfall von Kürzungen in Höhe der gesamten Einsparungen ausgenommen werden. Das hilft uns, gesamtgesellschaftlich die Kosten zu reduzieren, im Normalfall die der Armen, die sich nicht fragen müssen, ob sie es schaffen, im Privatjet nach Sylt zu fliegen, bevor der Schampus wieder teurer wird. Wer die Kosten nicht soweit in den Griff kriegt, dem wird selbstverständlich nur das abgezogen, was er eingespart hat – das ist der mitfühlende Liberalismus. Den Rest macht unsere PR-Abteilung.

Jetzt werden Sie natürlich sagen: hallo, wie passt das denn zum Aufstiegsversprechen? Kann in diesem Land nicht jeder alles schaffen, wenn man ihm die Möglichkeiten dazu gibt? Richtig, aber wer würde denn die Möglichkeiten nutzen? Haben Sie schon mal jemanden kennen gelernt, der sich ohne freundschaftliche Unterstützung aus den richtigen Kreisen und eine rechtliche Beratung nach einem betrügerischen Konkurs ganz nach oben gearbeitet, nein: hat arbeiten lassen? Sehen Sie, ich auch nicht. Man muss eben gönnen können. Fünfzig Prozent: so hoch sind wir nie gekommen!“