Wohlstandsverlust

31 08 2022

„Haben Sie noch irgendwelche Ideen, wie wir den Wohlstandsverlust aufhalten können?“ „Moment, welcher Wohlstand?“ „Naja, was man so hat.“ „Das heißt also, wenn man den Wohlstand erhalten will, muss man das, was man noch hat, verkaufen?“ „Das könnte kommen.“ „Aber dann hat man ja erst recht keinen Wohlstand mehr.“

„Wir könnten ja Wohlstand neu definieren.“ „Im Sinne der längst fälligen Neugewichtung von Besitz und Einkommen, nehme ich an.“ „Ich dachte eher an ein bisschen mehr Dankbarkeit.“ „Wenn Sie am Morgen in Ihrer unbeheizten Wohnung aufwachen, dann sind Sie dankbar, dass Sie nicht auf der Straße erfroren sind?“ „Sie sehen das viel zu ideologisch.“ „Dann lassen Sie uns doch besser über Besitz und Einkommen reden.“ „Es gibt ja Menschen, die gar nicht so hohe Einkommen haben, wie Sie sich das vorstellen.“ „Wenn ich einen entsprechen hohen Besitz hätte, würde ich auch nicht unbedingt ein hohes Einkommen brauchen.“ „Man kann doch von den Menschen, die viel besitzen, nicht erwarten, dass sie ihren Besitz nur deshalb veräußern, weil andere nichts besitzen.“ „Es sei denn, es handelt sich um eher geringeren Besitz wie beispielsweise eine Altersvorsorge, die man aufbrauchen muss, weil man zwischenzeitlich kein Einkommen mehr hat.“ „Erwarten Sie dann auch, dass jemand, der viel besitzt, einen Teil davon verkauft, nur damit jemand, der wenig Einkommen hat, seinen Besitz davon vergrößern kann?“ „Was stört Sie daran?“ „Wenn Sie einen größeren Besitz wollen, sollten Sie sich doch eher um ein höheres Einkommen bemühen.“ „Deshalb erwarte ich ja auch, dass die, die viel Besitzen, davon die Steuern zahlen, die mein Einkommen weniger beschneiden würden.“ „Und Sie halten das für machbar?“ „Da die, die über hohe Einkommen verfügen, derzeit schon ihre Steuern vermeiden, eher nicht.“

„Wenn Sie mal ein bisschen konstruktiv denken würden, würden Sie sich eher dafür interessieren, wie Sie ein Vermögen aufbauen können.“ „Durch Erben?“ „Dann übernehmen Sie ja einfach nur ein Vermögen, aber Sie bauen keins auf.“ „Sie haben sich also bereits damit beschäftigt, wie Vermögen entstehen.“ „Das kann ja auch in kleinem Umfang beginnen.“ „Zum Beispiel, indem man möglichst schuldenfrei bleibt.“ „Wenn Schulden etwas weiter anwachsen, findet sich meist auch ein Weg, sie aus der Welt zu schaffen.“ „Immer vorausgesetzt, man besitzt ein entsprechendes Vermögen.“ „Als Bank braucht man schließlich auch Sicherheiten.“ „Zum Beispiel staatliche Rettungsprogramme.“ „Deshalb müssen wir jetzt ja sehen, dass wir ohne staatliche Hilfe den Wohlstand erhalten können, damit der Staat genug Geld hat, um solche Programme auch weiterhin anzubieten.“ „Und dann zu hoffen, dass sie nicht in Anspruch genommen werden.“

„Vielleicht könnten mehr Leute einen Nebenjob annehmen.“ „Sie meinen, wer im Schichtbetrieb in der Fabrik steht, hat sicher noch Zeit, nachts Taxi zu fahren.“ „Das ist ein blödes Beispiel, aber Sie haben recht.“ „Dann bräuchten wir nur noch genug Nebenjobs.“ „Eigentlich sollte das auch schon eine Wohngeldreform regeln, damit die Menschen mehr Geld zur Verfügung haben.“ „Wissen Sie, wie lange man auf die Bewilligung so eines Antrags wartet?“ „Dann suchen Sie sich einen Nebenjob in einen Amt für Wohngeld, damit tun Sie Ihren Mitbürgern auch noch etwas Gutes.“ „Das klingt bürgernah, ungefähr wie der Vorschlag, dass sich Hartz-IV-Empfänger gegenseitig die Haare schneiden.“

„Das ist ein gutes Stichwort, wir könnten doch die eigentliche Idee dieser Reform mal wieder in den Fokus nehmen und uns mehr auf unsere wahren Talente besinnen.“ „Ich beispielsweise habe ja die Veranlagung, für ausreichende Löhne zu arbeiten.“ „Das hilft uns aber nicht weiter.“ „Das war klar, das hilft nur der Wirtschaft.“ „Mit der Haltung werden Sie nie ein Vermögen aufbauen.“ „Je weniger Einkommen man akzeptiert, desto schneller wird man reich?“ „Nein, aber es geht doch um geringes Einkommen oder gar kein Einkommen.“ „Das ist wie mit dem Mindestlohn, der ja bekanntlich schon dreimal die Wirtschaft komplett zerstört hat.“ „Ich verstehe ja Ihren Unmut…“ „Das bezweifle ich.“ „… aber diese schockartigen Veränderungen sind nicht zu bewältigen.“ „Deshalb soll jetzt der Bürger den Gürtel enger schnallen, damit die Wirtschaft nicht plötzlich doppelt so hohe Dividenden kassiert statt dreimal so hohe.“

„Ich glaube, Sie haben auch ein vollkommen falsches Bild von Wohlstand.“ „Verstehe, ich bin vermutlich zu materialistisch eingestellt.“ „Das würde ich noch gar nicht mal sagen.“ „Sie kommen jetzt bestimmt gleich mit der sozialen Nummer.“ „Es könnte doch mehr ehrenamtliche Tätigkeiten in der Pflege geben.“ „Das hilft bestimmt vielen von uns, immer vorausgesetzt, sie besitzen eine Klinik oder wenigstens Aktien von so einem Konzern.“ „Vielleicht haben wir dann ja mehr Menschen, die sich für dieses Berufsbild interessieren.“ „Da reicht sicher ein bisschen Applaus auf dem Balkon, da es sich nicht um professionelle Pflege handelt, für die man ein angemessenes Einkommen beanspruchen kann.“ „Haben Sie denn keinen Vorschlag für eine nachhaltige Rettung des Wohlstands?“ „Spielen Sie Lotto?“ „Was ist das denn für eine Frage?“ „Dann gründen ich eben einen Gaskonzern.“ „Und dann!?“ „Dann zünde ich mir die Kippen am Geldschein an und pfeife darauf, was aus Ihrem verschissenen Wohlstand wird, Sie bürgerlicher Parasit!“