Gernulf Olzheimer kommentiert (DCXXXV): Heilpraktiker

7 10 2022
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Rrts Schwager hätte ein unspektakuläres Ende haben können, wäre da nicht der angeblich so kluge Schwiegersohn gewesen, der ihn höchst elegant um die Ecke gebracht hat. Der Alte hatte sich an einer Buntbeere verschluckt, er rang nach Luft, wedelte mit den Armen um sich und lief nach und nach erst rot, dann bläulich an. Das störte den Pfiffikus nicht, denn er musste das bei seinem eigenen Bruder sehen, der kurz danach in den Bereich Biomasse überführt wurde. Statt dem verdienten Jäger mit Schmackes zwischen die Schultern zu klopfen, gab er ihm zwangsweise Nachschub und spülte alles mit einem kräftigen Schuss Wasser nach – was jedoch beim Wunsch blieb, denn alsbald kippte der also Verunfallte auf die Seite, stellte die Atmung ein und nahm die Umgebungstemperatur an. Der Versuch einer alternativen Fremdkörperbeseitigung aus dem Kehlkopfbereich war gescheitert. Schwund, sagte sich der Schlaukopf, gibt’s ja immer, und somit war sein Berufswunsch geboren: in Ermangelung der Zulassung zum Medizinmann wurde er einfach Heilpraktiker.

Womit das Berufsbild hinreichend beschrieben sein dürfte: mit dem Verständnis eines nur halbwegs ausgebildeten Helfers, der vor allem diagnostische Methoden auf Laienniveau beherrscht und sich auf subjektive Symptomschilderungen seiner Kunden verlassen muss, darf jeder Feuchtbeutel an Kranken herumhobbydoktern und nach Belieben abrechnen, was seine staatlich anerkannte Talentdetonation an Wehwehchen zu erkennen glaubt – abgesehen von Geschlechtskrankheiten, aber die sind eh selten. Die Ausübenden tatsächlicher Heilberufe, Logopäden, Pfleger und Ergotherapeuten, sind gegenüber dem haltlos zusammengeschwiemelten Gepopel in Ausbildung und Prüfung fachlich weit überlegen, aber sie dürfen nicht einmal invasiv behandeln, sie machen aus gutem Grund um jeden Tumor einen großen Bogen und halten vernünftigerweise bei der Anamnese die Klappe, wo sie keine Ahnung haben. Man stelle sich einen Wasserrohrbruch vor, bei dem ein freiberuflicher Experte für Raumdekoration und Blumenschmuck mit allerlei Frühblühern im Tontopf die negativen Schwingungen der leckenden Fäkalien bannt, während der Klempner gerade mit dem Schraubenschlüssel über dem Motorraum einer Limousine wedelt, die aus Bosheit nicht mehr fährt. Die Wahl der praktischen Mittel wird zwischen dem Schamanen und seinen Patienten ausgehandelt, die grundsätzlich an dasselbe glauben sollten wie der ausführende Magier, weil sonst die Überzeugung an den Heilerfolg nicht stattfinden kann. Bachblüten- und Feng-Shui-Fraktion bekämpfen sich sowohl in herzlicher Abneigung gegenseitig als auch in trauter Eintracht mit Ohrkerzenmafia und Homöopathen. Wer heilt, plärrt’s aus naivem Munde, hat recht.

Wobei derart Geheilte nicht selten zum richtigen Arzt gehen, der zusätzlich zu der verschleppten Krankheit auch noch die experimentellen Therapie- und Vertuschungsversuche der bekittelten Trolle in den Griff kriegen muss, wenn die Patienten nicht gleich über die Wupper schwuppen – es existiert nicht einmal eine Statistik über die tatsächliche Anzahl an zugelassenen Alternativdeppen, die auf fadenscheiniger Rechtsgrundlage in einem der vielen untereinander zerstrittenen Berufsverbände ohne Approbation alles tun und lassen dürfen, was zumindest die Gefahr für das wehrlose Opfer nicht noch mindestens fahrlässig vergrößert. Das aus diesem Grund unter dem Bettnässer aus Braunau erlassene Gesetz, dass die sogenannte jüdische Schulmedizin – die antisemitische Komponente ist nach dem Ende der NS-Zeit in Ungnade gefallen, wird aber durch Querdullis und andere Braunalgen jüngst wiederentdeckt – zurückdrängen sollte, um die wehrhaften Selbstheilungskräfte des arischen Volkskörpers zu stärken, gilt mit Änderungen bis heute. Immerhin kriegen die Scharlatane es nicht durch, auch noch die Kassen für ihren Hokuspokus zahlen zu lassen oder die Schweigepflicht für sich in Anspruch zu nehmen. Aber auch so profitiert dies Gewerk von der Leichtgläubigkeit verzweifelter Menschen, die von einem Wissenschaftsmediziner zum nächsten ziehen, da sie Wundertaten erwarten, die die Natur nicht bieten kann, bis sie endlich im Hinterhof des Henkers landen: mehr Heil als Kunst, womit es für Geprellte und Geschädigte nochmals schwieriger wird, einem Kompetenzimitat Versagen nachzuweisen. Wer den Schaden hat, der hat länger etwas davon.

Immerhin füllen die Therapieclowns eine Lücke im Gesundheitssystem: aus immanenter Neigung, professionell und gelahrt zu wirken, steigen sie in der Tat zu vielen echten und eingebildeten Kranken hinab, nehmen sich ein Viertelstündchen für die Klagen des Verschnupften und weichen nicht, wie es das Praxiswesen der Allgemeinmediziner will, in die Masse aus, aufgerieben zwischen Fallpauschale und betriebswirtschaftlicher Berechnung. Jeden Sums hört sich der Ersatzbankarzt an, bietet Trost an und gelobt Linderung. Er hört Kränkelnden zu und erquickt die mühselig Beladenen, ganz ohne Priester zu sein. Wobei es für die Volksgesundheit auch ein Frisör getan hätte. Oder eine Parkuhr. Das sind Therapien, die halten, was sie versprechen.