
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Sicherlich war Missgunst eine entscheidende Triebfeder im Miteinander der eher unzivilisierten Verbände. Hierarchie und Gerechtigkeit sind selten proportional verteilt, und schon die Tatsache, dass jemand in der Stammesgesellschaft durch Alter, Geschlecht oder Stellung im produktiven Prozess ein bisschen mehr Protein in die Figur bekam, wird für anhaltende Diskussionen gesorgt haben. Mit der Ritualisierung gewisser Abläufe bis zu den in der Gegenwart geltenden demokratischen Spielregeln sollte sich manches nivelliert haben – formal ist es heute nicht mehr durch Ständeschranken oder Mode getrennt, wer mit wem eine legitime Beziehung eingeht oder Kratzspuren im Genpool hinterlässt – und doch wird der umfassende Wunsch nach einer metaphysisch begründeten Gerechtigkeit vielfach in Verlustängsten, Misstrauen, Angst und Wut auf die Herrschenden geworfen, die sich scheinbar alles erlauben dürften, während das gemeine Volk darbt. Mythen verklären das Leben der Oberschicht bis zum Klischee, als das es dann auch gerinnt; was aber treibt den evolutionär perfektionierten Deppen dazu, den Sozialneid nach unten zur Kunstform für die gründlich etablierte Schicht zu schwiemeln?
Diese Haltung ist ein doppeltes Paradoxon, das grundlegend auf einer kompletten Unkenntnis vom Leben der anderen fußt. Einerseits hat das krude Narrativ von calvinistisch erklärter Leistung sich selbstständig gemacht, auch wenn es im zufälligen Wurf als männliche, weiße Erstgeburt wurzelt – es sollen auch schon Dummklumpen das Ruder eines familiären Vermögens übernommen haben, die kein Studium der Kunstgeschichte nötig hatten, um den ganzen Laden bis zum Erdkern in die Scheiße zu reiten. Wer also nicht mit entsprechenden Anlagen in die Welt gesetzt wurde, muss etwas falsch gemacht haben, und sei es durch im christlichen Kontext ansonsten vernachlässigte Reinkarnations- oder Karmapunktspielregeln. Andererseits ballert in dieser Kultur der Nächstenliebe, wie sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Monstranz ihrer selbst vor den saturierten Arschgeigen hergetragen wird, das Bewusstsein der Überlegenheit gewaltig rein, wenn es darum geht, Abhängige mit gerade noch erlaubten Mitteln für ihre reine Existenz zu sanktionieren. Wer arm geboren und trotz aller Anstrengung arm geblieben ist, da das Versprechen des Aufstiegs in der kapitalistischen Wirtschaft nun einmal nicht durch den Markt herbeigeregelt wird, hat einfach Pech gehabt und sollte, so viel frommer Geist ist noch in der Hose, einfach mal die Fresse halten. Damit das Pack nicht zu sehr wider den Stachel löckt, hat es gefälligst arm zu bleiben – bleibt es arm, hat es sich aber eben nicht genug mit notwendiger Eigeninitiative durchgesetzt.
Sozialneid nach unten ist für die Mittelschicht ungefähr so logisch, als würde man eine Person im Rollstuhl verprügeln, weil sie sich nicht die Mühe macht, selbst zu gehen. Ohnehin ist es die Gruppe, die sich bereits für begütert hält, wenn sie ihre Kredite bedienen kann, für die Eifersucht quasi den Anschluss nach oben bedeutet. Wie Vermögende neigen sie zur Opferrolle, in Erwartung sozialer Annäherung sogar ein bisschen mehr, weil sie sich einbilden, dass die Abgehängten, denen der Staat ein Überleben zu sichern hat, sich auf ihre Kosten einen netten Tag machen: morgens ausschlafen, am Mittag Schnaps und Zigaretten, abends spät ins Bett, denn Strom und Heizung kommen ja von den Steuern der schuftenden Bevölkerung. Es bleibt ein ewiges Rätsel, warum die geplagten Facharbeiter, die in kalter Wut den anstrengungslosen Wohlstand der Ärmsten sehen, nicht aus Egoismus kündigen. Vielleicht haben sie Angst, sie müssten dann auf sich selbst neidisch sein.
Vielleicht ist es aber auch nur die Rache für die ewige Neiddebatte, die die Reichen hinter jedem sozialpolitischen Vorschlag wittern, selbstredend auch bei der Ankündigung, Steuerbetrug nicht mehr als Notwehr gegen den bösen Staat zu behandeln. Die Rolle der Wunschträume und Projektionen, die das Proletariat als vermeintliche Verkörperung einer Freiheit trägt, die man der Mittelschicht zeigt, ohne dass sie diese Zuwendung an Reiche je bekäme, ist wie eine spiegelverkehrte Realität, in der sich die Ohnmacht der schwächelnden Masse manifestiert; der Normalverbraucher müsste wissen, dass er in einem System aus kapitalistischer Ausbeutung die Bonzen füttert, zur Vorsicht tritt er aber lieber nach unten, weil er dort keine Gegenwehr fürchtet.
Es ist wahrhaft magisches Denken, wenn sich der Durchschnittsbürger die reale Zerstörung der soziökonomischen Unterschicht herbeiwünscht, um die Kaste der Gierigen zu füttern, die für ihn nichts als ein verächtliches Grinsen hat. Nichts hat sich in der Krise geändert, es sind die Verlustängste, die er lange kennt, aber nicht wahrhaben will, das stetig wachsende Misstrauen, dass auch er jetzt abgehängt sein könnte, sowie die Angst, es könnte diesmal ernst sein, und die Wut, dass das keinen interessiert. In einem System, in dem Macht ausgeübt wird, wo das Geld ist, schwindet sein Einfluss. Der Schritt in die Verschwörungsmystik, der Griff zur nationalen Hybris liegt nahe. Endlich wieder Deutungshoheit. Endlich Aufmerksamkeit. Beneidenswert.
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