„Herzinfarkt? Okay, lassen Sie ihn warten. Es gibt Probleme, die sich nach hinreichend langer Zeit von selbst lösen. Da der Patient dann gar nicht erst auf Station kommt, ist auch unsere Statistik nicht von ihm betroffen. Klassische Win-Win-Situation.
Wir alle müssen sparen, und wenn Sie mal die einzelnen Kosten zusammenrechnen, die so ein kardiologischer Notfall mit sich bringt, dann haben Sie ganz schnell das nächste Loch im Börsenkurs des Klinikkonzerns, Kollateralschäden wie sinnlos belegte Krankenhausbetten gar nicht mitgezählt. Es führt nun mal kein Weg an einer Konsolidierung der Finanzen vorbei, da müssen wir alle ein bisschen zurückstecken – Sie mehr, ich weniger, einer von uns beiden ist schließlich privat versichert. Aber die FDP hatte das passende Konzept, zunächst einmal als Kostenbremse für Patienten mit psychischen Erkrankungen, vorwiegend Jugendliche, und dann ließ sich das quasi gar nicht mehr aufhalten. Sie dachten, die Gesundheitspolitik wird immer noch von der SPD verantwortet? Wo leben denn Sie?
Wenn man die Leute nicht ständig untersuchen würde, gäbe es auch nicht immerzu Diagnosen, und ohne Diagnose müsste man sie nicht einliefern. Gut, in der FDP fallen mir schon ein paar Leute ein, bei denen ich auch ohne Diagnose eine Einlieferung befürworten würde, aber das nur am Rande. Klar ist doch: eine psychische Erkrankung sieht man nicht, da kann man dann immer schon mal von einer Fehldiagnose ausgehen, die wir nicht unbedingt in der Krankenhausbelegung berücksichtigen müssen, da sich ein gewisser Prozentsatz davon suizidiert, bedeuten tote Jugendliche altersbedingt auch keinen Ausfall im Fachkräftebereich. Und die wählen eher Grüne, also wissen Sie, wie sehr wir das bedauern.
Polytrauma? Wenn es kein Sportwagen war, müssen wir leider ablehnen. Oder warten Sie, ist das ein Organspender? Keine Lebensgefahr? Dann sind da sicher noch andere Krankenhäuser, die sich über Patienten freuen. Sie dürfen gerne Ihr Glück versuchen, das Telefon ist Ihr Freund.
Im Erlebensfall haben wir dann natürlich ein Bett für diese Fälle, weil man ja ganz ohne Fälle nichts verdient. Ich sage mir immer: am besten gar keine Neupatienten, aber wenn sie einmal bei uns sind, dann wollen wir auch ordentlich Umsatz mit ihnen machen. Das ist ja das Problem mit solchen Krankheiten, man kann das so schlecht planen. Für Brustimplantate oder Fettabsaugen gibt es einfach einen Kalender, Hüftgelenke oder Knie machen wir auch, wenn es reinpasst, aber wenn jemand mit Borderline vor einem steht, kann ich doch nicht so einfach eine schizoide Psychose rauswerfen. Dann zahlen wir ja drauf, am Ende steigen Ihre Beiträge, und wir sind wieder an allem schuld.
Vorsorgeuntersuchungen, das hat uns ja gerade noch gefehlt! Gerade bei Jugendlichen, das ist wie mit Coronatests – je mehr Sie herumtesten, desto mehr werden als psychisch auffällig eingestuft, und dann müssen wir doch wieder ran. Man kann doch nicht alle Chirurgen zu Psychiatern umschulen, wie stellen Sie sich das vor? Sollen wir dann auch noch draufzahlen? Die Präventionsmaßnahmen sind der erste Schritt in die falsche Richtung, das haben die meisten nur noch nicht erkannt. Je mehr wir an Patientenpotenzial letztlich diagnostizieren, desto mehr wird uns durch Prävention wieder genommen. Die kriegen ein bisschen Ritalin oder Therapie oder kommen in den Justizvollzug, aber wir haben von denen rein gar nichts, wenn sie erst mal so weit wären. Deshalb sind wir auch strikt gegen Ansätze, in denen Eigenverantwortung nicht mehr als erste Möglichkeit der Finanzierung angesehen wird.
Sie müssen sich schon ein bisschen beeilen da unten, der letzte Schlaganfall ist auch schon wieder fast eine Stunde lang ohne Aufsicht. Sehen Sie mal nach, ob der noch lebt, und dann tun Sie das, was nötig ist. Also je nach Lage der Dinge.
Natürlich sind psychische Erkrankungen kein Zuckerschlecken, schauen Sie sich mal die Folgen für die Wirtschaft an: die meisten langfristigen Arbeitsausfälle sind wegen Depressionen. Aber wenn man das geschickt gegenfinanziert, die Leute über Hartz-Gesetze gegen ihren Willen in Frührente abschiebt und Leistungen wie Brille und Zahnersatz als attraktive Sparziele umdefiniert, kann man auch Homöopathie und Zumba in der Toskana anbieten. Vielleicht werden dann weniger Leute depressiv.
Und jetzt denken Sie den Ansatz mal weiter: ob ich jemandem jahrelang Krankengeld zahle, weil er ohne Psychotherapie nicht mehr arbeitsfähig ist, oder ob ich seinen Krebs finanziere, ist mir letztlich egal. Bei Krebs habe ich natürlich das Problem, dass ich offiziell zur Früherkennung aufrufe und so eine positive Diagnose quasi provoziere – da muss die FDP noch dran, und ich denke, dass sie das erst in der Koalition mit Merz und der AfD schaffen. Es ist doch ein schönes und mittlerweile vertrautes Gefühl, mit einer Sehschwäche im Regen stehen gelassen zu werden, warum soll das nicht auch bei Krebs so sein? Vielleicht freuen sich die Menschen irgendwann, wenn Sie aus eigener Kraft etwas für Ihr Schicksal tun können, für Ihr Überleben und damit auch für Ihren Wert als Arbeitskraft. Das ist ein lohnenswertes Ziel, nicht nur wirtschaftlich für die Menschen selbst, sondern eben auch im Sinne volkswirtschaftlicher Stabilität. Finden Sie nicht, wir sollten alle gemeinsam daran arbeiten?
Dreieinhalb Promille und Schädelfraktur? Bin ich Jesus? Egal, ob das ein Privatpatient ist, der kratzt uns auf dem Weg in den OP ab, das rechnet sich doch nie im Leben. Wer ist das? Kubicki? Warten Sie mal einen Moment – wollen Sie ihm die Schlagader durchschneiden oder darf ich?“
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