
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Uga war guter Stimmung in der Sippe durchaus zugetan. Während er in der Ecke lag, sortierten die jüngeren Frauen Schnecken und Buntbeeren, eine abstumpfende Tätigkeit, die nur dann unterbrochen wurde, wenn der Älteste in den Korb griff und eine Handvoll Früchte herausklaubte. Es kam selten zu Anwandlungen von Frohsinn, zumal Uga nicht aus Hunger aß, sondern aus Überdruss. Nach und nach bemerkte er, dass sich die Hingabe der Mädchen in Grenzen hielt, und so befahl er den Sortiererinnen, nebenbei noch in die Hände zu klatschen, damit der Takt stimmt. Da das nicht klappen konnte, hatte er schnell eine Rechtfertigung für die verschlechterte Versorgungslage: die Arbeitsmoral sei gesunken. Es sollte noch eine Weile dauern, bis der Begriff sich in der Wirtschaftstheologie etabliert hatte, doch seine Nähe zum Führungsversagen stand fest.
Arbeitsmoral und Unternehmensphilosophie, traditionelle Herrschaftsbegriffe aus Verbalwatte, sie sind einander so ähnlich, weil sie ein Wort mit dem aufblähen, was dort weder hineingehört noch Platz hätte. Ist das Arbeitsethos als Grundlage für sinnvolle Tätigkeiten aus der Mode gekommen, so hat die protestantische Lust an der Bestrafung durch gottgefälliges Schuften begierig übernommen, um die Pflicht zur höchsten Erfüllung des untertänigen Dasein zu machen. Dieser spezifische Moralbegriff wird wie seine buckligen Verwandten auch als die normative Vorgabe gehandhabt, nach der über Lohn und Strafe entschieden wird, wobei im Arbeitsleben beides nicht immer trennbar scheint, vor allem nicht für die, die noch wirklich arbeiten.
Wer nicht ackert, soll auch nicht essen, stinkt’s aus berufen sozialdemokratischer Funktionärsfresse und verkennt, dass sich das auf Zeiten bezog, da noch jeder Anspruch auf sein Stück Land hatte. Wer auf den Verkauf seiner Arbeitskraft angewiesen ist, ohne ihren Wert auch nur mitbestimmen zu dürfen, für den sieht die Moral schon anders aus: woher nehmen, wenn sie nicht immer wieder genommen wird? Intrinsische Motivation geht flöten, wenn sie von außen immer wieder mit Füßen getreten wird, und kein noch so freundlicher Balkonapplaus, keine Drohung mit Arbeitsverdichtung, Stellenstreichung oder Missachtung sämtlicher Grundbedürfnisse wird übertünchen, dass Moral nun einmal nie ohne Angst auskommt. Und so dienen Niedriglöhner, Erwerbslose, Arme bis zu den Obdachlosen stets als gehässiger Mittelfinger, den man den Kulis zeigt, wenn sie nicht spuren: das Elend ist immer da, wo es vom Kapital organisiert wird.
Ab und zu schwiemeln Karriereratgeber sich die besten Tipps aus dem Gekröse, wie man denn als Bestandteil der werktätigen Bevölkerung seine Arbeitsmoral steigern könne, als wäre dieser ganze Selbstoptimierungsquark nicht längst als Disziplin zur Disziplinierung entlarvt. Auf anderen Feldern dieser Zwangsgesellschaft bringt man uns bei, eine potenziell tödlich Gefäßkrankheit sei gar nicht so schlimm, denn wir sind nichts, der Börsenkurs alles und wir dürfen Danke singen für unsre Arbeitsstelle, auf der wir einen Job erledigen, bevor der nächste droht. Leistung und Produktivität sind der Schlüssel zum Erfolg, in einer arbeitsteiligen Ordnung natürlich mit Sorgfalt getrennt: Leistung darf der Mann an der Schippe zeigen, den Erfolg genießt die Geschäftsführung, die in ihrer Huld die Arbeiter nicht an die frische Luft setzt. Höchste Zeit für einen Perspektivwechsel.
Die Probleme im Betriebsablauf hat ja nicht der einzelne Mitarbeiter zu verschulden, auch nicht die sozialen Rahmenfaktoren, wenn sich beispielsweise pandemiebedingt Schulen als reine Präsenzkasernen für Arbeitsverhinderungsmaterial entpuppen. Der Fließbandjobber hat auch nicht zu bestimmen über Erweiterung und Vertiefung seines Stellenprofils, kann über Fortbildung oder Aufstieg selten bis nie mitentscheiden und wird im Regelfall miserabel geführt. Wo Kollegenzusammenhalt bereits kritisch gesehen wird, braucht kein Arbeitgeber Loyalität zu erwarten. Die Work-Life-Balance als Frontalangriff auf die geordnete Welt fauler, gieriger Boomer, die sich und ihre schwarzen Schäfchen ins Trockene bringen wollen, ist nur das Ende eines ausgeleierten Liedes: die jungen Leute wollen alle nichts mehr leisten, schrauben ihre Ansprüche hoch und sind noch enttäuscht, wenn man ihnen ehrlicherweise ins Gesicht sagt, dass man sie für Dreck hält.
Sie wurden von diesen Moralaposteln erzogen, aber sie tun, was der Markt täte: sie sehen, dass sie Forderungen stellen können, weil sie das Gesülze vom Grundrecht, eine asoziale Arschgeige zu sein, nicht mit richtiger Freiheit verwechseln, und da in der Welt der von Versagensangst gepeinigten Schranzen der Markt gerade das nicht darf, was er eigentlich soll, weil er dann nicht ausgehebelt wurde, kommt das Geheul, der Wunsch nach Teilzeit, nach Familie, Bildung, Sabbaticals und den anderen Kompensationen für die mahlenden Räder der Pflicht zur Unterwerfung, all das sei undankbar, und schon ist die Alimentierung der Armen zu hoch, so dass sich Arbeit nicht mehr lohne. Sollte es stimmen, so liegt es an den Löhnen. Liegt es aber an den Löhnen, so wäre Moralarbeit wichtiger als Arbeitsmoral. Es ist ja nicht unser Kapital.
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