Strohhalmlösungen

27 10 2022

„Alles anzünden, am besten sofort. Was einmal brennt, das ist weg, und Sie müssen sich nie wieder darum kümmern. Gern geschehen, dafür haben wir ja unsere Beratungsstelle.

Ich möchte mich nicht loben, aber alle unsere Klienten sind zufrieden. Das würde man nach der Wirksamkeit unserer Beratung gar nicht annehmen, weil hier eine Beratung im engeren Sinne gar nicht stattfindet. Allerdings machen uns das die Klienten auch nicht zum Vorwurf, weil sie an systemischen Veränderungen überhaupt kein Interesse haben. Sie suchen Lösungen, je einfacher, desto besser. Das stört nämlich nicht den Betriebsablauf, und wenn Sie sich gegen die Konkurrenz durchsetzen müssen – wo wäre das heute nicht der Fall? – dann können Sie keine Zeit in Prozesse mit ungewissem Ausgang investieren. Am Ende würde sich ja etwas ändern.

Sie haben Umsatzrückgänge um bis zu zehn Prozent? Sparen Sie zuerst an den Personalkosten, die kriegen Sie nie wieder rein – weg mit den Mitarbeitern, die sind nur Kostgänger, und mit dem neuen Bürgergeld lohnt sich ja Arbeit sowieso nicht mehr. Das ist eine Win-Win-Situation!

Und dann gibt es ja auch noch solche, die das glauben. Aber wissen Sie, die Menschheit will nun mal beschissen und verarscht werden, und wenn ich es nicht mache, dann verdient bestimmt ein anderer daran. Das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, und deshalb biete ich den Menschen schnelle, einfache Lösungen an, damit sie sich nicht mehr mit ihren Problemen auseinandersetzen müssen. Die jahrelang an die Betriebsabläufe gewöhnten Fachkräfte sind dann zwar erst mal weg, größtenteils auch aus der Branche, aber bis man das merkt, können wir es als neues Problem definieren und zweimal an derselben Sache verdienen. Wer würde sich denn so eine Chance entgehen lassen?

Also wenn ich das richtig verstehe, haben Sie in Ihrer Partei massive Schwierigkeiten, die Folgen Ihres eigenen Handelns anzuerkennen? Ja, das kenne ich. Ihre Kollegen rufen hier mehrmals in der Woche an und wissen nicht mehr, wie sie denken sollten und womit, und ich soll ihnen dann sagen, welchen Fehler sie gemacht haben. Es ist relativ einfach, Sie sollten die Realität als unqualifizierte Meinung der Gegenseite behandeln, die Sie dann vehement bekämpfen und lächerlich machen. Sie haben einfach immer recht. Dann klappt das schon.

Im Grunde ist das hier wie Homöopathie. Mit etwas Nachdenken könnten Sie kapieren, dass das kompletter Unsinn ist, weil Sie das Problem zwar erkennen, aber die Lösung zielgerichtet vermeiden, indem Sie irgendetwas tun, das mit dem Problem allenfalls auf der Symptomseite zu tun hat. Unsere Klienten sind meist auch schon derart kopflos, dass ihnen nicht einmal diese Strohhalmlösungen in den Sinn kommen, und dann schlägt unsere Stunde. Wir verkaufen das gute Gefühl, überhaupt mal etwas getan zu haben. Brandanschlag? Menschenkette! Hunderttausend Corona-Tote? Schnell eine Kerze ins Fenster stellen! Gerade bei den sich immer mehr überlagernden, gegenseitig verstärkenden Krisen ist das wirklich gut, wenn man etwas machen kann, ohne irgendwas tun zu müssen.

Denn nicht nur die Probleme werden immer komplexer, die Menschen werden dümmer, weil sie erkannt haben, dass sie mit immer komplexer werdenden Problemen überfordert sind, also haben sie beschlossen, dass sie das mit einer einfachen Lösung aus der Welt schaffen: indem sie es mit einer einfachen Lösung aus der Welt schaffen. Das ist insofern geschickt, als dass sie das Problem noch nicht einmal finden müssen, und da sie es sowieso nicht finden wollen, brauchen sie es auch gar nicht erst zu suchen. Einfacher geht’s nun wirklich nicht.

Sie haben zu viele Kranke auf Station? Ach so, das Personal. Ja, das ist nicht gut. Haben Sie schon versucht, es auf die Ausländer zu schieben? Das ist schnell anwendbar, es ändert nichts am Problem, deshalb kann man es auch so oft benutzen, wie man will. Schade, dann müssen wir uns tatsächlich eine Lösung ausdenken. Was halten Sie davon, wenn Sie Ihre Patienten einfach nachts nach Hause schicken? Dann müssen Sie nicht die teuren Nachtdienste in der Klinik fahren, und wenn es zwischendurch doch mal zu Komplikationen kommen sollte, haben Sie am Ende des Tages, ich meine: Sie haben dann am nächsten Morgen mehr freie Betten, was sich auf die Gesamtsituation nur positiv auswirken kann.

Sie sehen, die einfachste Lösung ist nicht immer das, worauf der Klient kommt, aber wenn man das vorschlägt, sagen die meisten: das ist so einfach, da hätte ich auch drauf kommen können. Und wenn man denkt, man selbst hätte die Lösung gefunden, wird man auch nicht an ihr zweifeln. Schon deshalb nicht, weil Selbstzweifel Reflexion benötigt, und gerade die ist komplexer als die meisten Probleme, von den Lösungen mal ganz abgesehen. Wir sind also nicht im Geschäft, weil wir die Dummheit der Leute ausnutzen. Die Leute konzentrieren sich nur gerne auf ihren eigenen intellektuellen Horizont, in der Regel ihren Standpunkt. Viel Horizont ist da nicht mehr vorhanden. Wenn wir die Klienten nicht mit überflüssigem Hintergrundwissen ängstigen, ist der Beratungsprozess auch ganz einfach. Und die Leute sind auch nicht verschreckt, wenn wir ihnen sinnlose Denkprozesse aufzwingen. Die Hauptsache ist, sie denken, sie hätten gedacht.

Das mit dem Klimawandel ist schlimm, und ich würde sagen, wir haben es bereits verkackt. Am besten warten Sie jetzt darauf, dass irgendjemand eine neue Technologie erfindet. Mit der können Sie sich dann unauffällig verpissen, bevor Sie einer an die Wand stellt, Herr Minister.“