
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Die Steppenleute waren schuld. Uga hatte schon den dritten Sommer erlebt, in dem die Fische im kleinen Bächlein an der westlichen Felswand nicht mehr laichen wollten, inzwischen ging ein Teil der Population dazu über, mit dem Bauch nach oben der Strömung zu folgen. Kausalzusammenhänge, die auf der Einleitung von Fäkalien in den oberen Bachlauf beruhten, ließen sich mangels sorgfältig durchgeführter Langzeitstudien mit Kontrollgruppe nicht belegen. Aber Uga wusste sowieso alles, vor allem wusste er alles besser. Die Steppenbewohner, die seit Generationen in Feindschaft mit dem Volk der Höhlenhauser lebten, sie waren der einzige plausible Grund für das aussterben der Fische. Nur sie, die ansonsten Säbelzahnziege und Panzerhase jagten, was ein Dutzend Tagesmärsche in Richtung Sonnenaufgang auch ohne Weiteres möglich war, kamen als Täter in Frage. Vielleicht schissen sogar diese bösen Stämme selbst in den Bach, um den Troglodyten in perfider Schuldumkehr Unfrieden zu bringen? Egal, das Narrativ hatte sich gebildet, und für kommende Zeiten stand fest, dass man die Jäger der Ödnis aus Rache töten dürfe, da man sich die eigene Verantwortung am Scheitern nicht offen würde eingestehen können. So etablierte sich die Aggressionsverschiebung als Abwehrhandlung.
Der Mechanismus ist immer derselbe: kann der Bauer nicht schwimmen, ist die Badehose schuld. Im kindlichen Stadium schmeißt der Hominide mit Gegenständen um sich, wenn ihm der Brei nicht schmeckt, was etliche Deppen an den Schaltstellen der gesellschaftlichen oder politischen, meist auch wirtschaftlichen Macht, einfach beibehalten, da sich jede Art von Verantwortung damit ebenfalls in die nächstbeste Ecke schlenzen lässt. Wie gerne wird alles, was uns nicht in den Kram passt, verdrängt und zu dem gekehrt, was andere unter den Teppich geschwiemelt haben. Abgesehen von der typischen Befriedigung, die das erfolgreiche Abwehren einer sittlichen Kraft auslöst, muss der Realitätsallergiker nun öffentlich handeln, und also schmeißt er eine Scheibe ein – von innen, deutlich sichtbar, da vor Zeugen, aber er ist zur tat geschritten, und nur das zählt für sein Wertesystem. Mehr muss man über diese Werte auch gar nicht wissen.
Es geht dem Aluhütchenspieler mit eigener Ich-Wahrnehmung im ihn umkreisenden Kosmos um Lustgewinn (wo nicht?) und Unlustvermeidung (die er seltener zugibt), und folgsam sucht das Egodings nach Abwehrmöglichkeiten. Wen es wundert, dass Regression, Spaltung, Verneinung, Dämonisierung gleich mit in der Suppe schwimmen, die Knöpfe für solche Hirnkorrekturen liegen ja gleich daneben.
Wir verneinen die Auswirkungen von Pandemie, Austerität oder Klimawandel so lange, bis wir die Folgen nicht mehr ausblenden können, weil der Elefant im Raum längst alles andere an die Wand klatscht; schuld sind aber immer andere, die wir mit aggressiver Anklage fein säuberlich an die Wand nageln: eine Jugendliche, die uns die rohe Botschaft überbringt und dafür gesteinigt werden muss, eine Gruppe von Aktivisten, die schon für das Richtige demonstriert, die aber zu den Bösen gehören muss, weil das keine von uns sind. Die just regierenden Nachtmützen fordern mehr Fortschritte, die die gerade nicht mehr Regierenden versäumt haben – Überschneidungen sind rein zufällig – verhindern sie aber, weil sich dafür ein Sündenbock finden lässt. Die nicht mehr regierenden Wurstverkäufer haben für Jahrzehnte alles für die Erhaltung der Zivilisation planmäßig in die Grütze gehauen, sind nun aber empört, dass die aktuell Regierenden nicht innerhalb weniger Tage den Stein der Weisen aus der Schublade ziehen, wie man es selbst immer der Bevölkerung versprochen hat, die nun vor den Trümmern einer gemeinsam demolierten Welt steht und längst eine leise Gleichgültigkeit empfindet, wer sie nun eigentlich zerstört hat.
Allen gemeinsam ist der Hang zur Regression, die das Verschieben unserer Affekte so wundervoll erleichtert, weil damit jegliche Verantwortung an der Garderobe abgegeben wird. Nicht zuletzt die anheimelnde Opferrolle, in der sich trotzig-infantil der gerade noch vor Kraft humpelnde Übermensch wälzt, ist ein schlagender Beweis dafür, dass mit dem Erleben von Frustration das Verhalten fixiert wird – wer einmal in seinem narzisstischen Ego Kränkung erfahren hat, macht dies auch weiterhin für die Folgen der eigenen Blödheit verantwortlich. Dass sich der durchschnittlich faktenferne Depp in einer Deckerinnerung alles wahrlügt, was in sein ramponiertes Weltbild passt, befördert die Neigung zur Verschwörungserzählung, die noch immer jedes Versatzstück harmonisch verarbeitet hat.
Und so bleiben wir bei den einfach gedengelten Erklärungen, warum die vielen Fremden in dieses Land kommen, das ja das beste und reichste der Welt ist, aber leider von allen ausgenutzt wird und unmittelbar vor der Auslöschung steht durch diese Leute, die eigentlich hier arbeiten sollten, aber nur für ganz wenig, und die trotzdem nicht herkommen, obwohl man sie sowieso irgendwann rauswirft, weil sie ja letztlich hier nichts zu suchen haben, wo sie uns schon nicht helfen, das schönste Land der Welt zu sein. Keiner versteht uns. Es ist ein Rätsel.
Satzspiegel