Konstruktives Misstrauen

10 01 2023

„Ja, selbstverständlich, also: nein, auf gar keinen Fall. Wir sagen entschieden ja zum entschiedenen Nein. Herr Ministerpräsident, wir werden das auch konsequent kommunizieren, und dann werden wir sehen, ob der Herr Merz das auch kapiert.

Nein, ich sehe da keine kognitive Dissonanz, Herr Ministerpräsident. Zumindest ist sie nicht viel größer als sonst, wenn Sie über die Union sprechen. Das wissen auch alle in der Schwesterpartei, und es wird allgemein als Normalzustand im Freistaat oder in der CSU angesehen, wobei das ja quasi identisch ist, in personaltechnischer Hinsicht wenigstens. Der Herr Merz weiß das sicher auch, und was er auch weiß, ist, dass Sie den Karren nicht aus der Scheiße rausziehen werden. Unsere Marschrichtung bleibt wie besprochen: wir sehen zu, wie der Herr Merz den Karren alleine in der Scheiße versenkt, die er selbst liefert.

Wir sollten gleich von Anfang an klare Fronten ziehen, Herr Ministerpräsident, das macht der Herr Merz macht ja auch. Er weiß eben alles besser, was er machen würde, wenn er wüsste, was er machen soll. Da Sie sich jetzt ganz klar gegen eine erneute Kanzlerkandidatur ausgesprochen haben, sind Sie auch in der Lage, ihm schon vor seiner Kandidatur zu erklären, was Sie alles besser machen würden, wenn Sie der Kanzlerkandidat wären und nicht der Herr Merz. Dann könnten Sie dem Herrn Merz auch mal Ihre Bewunderung ausdrücken, dass er mit null Tagen Erfahrung in der Exekutive, davon sogar null Tagen in einem Regierungsamt, allen Bürgern draußen im Lande das Gefühl gibt, sie sind nicht die einzigen Volldeppen, die von Sachen reden, von denen sie keine Ahnung haben. Wenn das nach Ansicht der CDU als Qualifikation für eine gute Kanzlerkandidatur ausreichen sollte – der Herr Merz ist ja nicht der erste Knalltüte auf dem Stuhl – dann werden Sie als Ministerpräsident sich nicht in die Kanzlerkandidatur des CDU-Vorsitzenden einmischen müssen. Das macht er ganz alleine.

Vor allem müssen wir dann dem Herrn Merz auch nicht erklären, wann er mit seinem Wahlkampf anfangen soll, wenn die aktuelle Bundesregierung ganz überraschend nicht zurücktreten sollte. Er wird das bestimmt als Ermutigung verstehen, sich mit alternativen Vorschlägen zur Regierungspolitik in der Öffentlichkeit zu profilieren. Die werden sicher nicht immer verfassungskonform sein, eine Menge ist nicht bezahlbar oder technisch unmöglich, der Rest ist rassistisches Gepöbel, und dann werden Sie als Ministerpräsident, der ja die Verantwortung über einen Freistaat und eine Partei hat, sich zu diesen Einlassungen gar nicht äußern, und das werden Sie auch genau so sagen: Sie sagen dazu gar nicht, Herr Ministerpräsident, aber das sagen Sie auch.

Sie könnten damit im Wahlkampf nämlich sehr gut punkten, Herr Ministerpräsident. Alle anderen Parteien warten bestimmt, wann Sie endlich sagen, dass Sie sich als besserer Bundeskanzler sehen und am liebsten den ganzen Mist in Berlin übernehmen würden, um es denen mal so richtig zu zeigen. Sie lassen das diesmal einfach weg, dann sind die vor lauter Überraschung gar nicht mehr handlungsfähig, und das nutzen wir sofort aus, indem wir dem Herrn Merz raten, schnell das Ruder zu übernehmen. Das kann er nicht ohne konstruktives Misstrauensvotum – wann hätte der schon mal etwas Konstruktives geleistet? – und dann müsste er etwas tun, wovon er so viel Ahnung hat wie ein Stein vom Schwimmen. Regieren. Das wird dann sicher lustig.

Aber so weit muss es gar nicht kommen, Herr Ministerpräsident. Der Herr Merz weiß sicher, dass er sich Ihnen gegenüber verpflichtet fühlen muss, weil Sie als CSU-Vorsitzender klar zum Ausdruck gebracht haben, dass er als CDU-Vorsitzender der Kanzlerkandidat werden muss. Dann kann er nicht einfach so tun, als würde er sich in den wichtigeren Wahlkampf, also unseren in Bayern, einmischen und mit seinem eigenen Schwachsinn Stimmenfang betreiben. Sollte er das wissen, dann kann er gerne mit seinem Scheißdreck im Bierzelt auftreten. Die Leute sehen das ganz gerne, wenn sich zugereiste Hampelmänner ihnen zeigen, dass außerhalb des Freistaates kein intelligentes Leben existiert. Sollte er aber der Meinung sein, dass er sich über andere Sachen auslassen müsse als über den unbestreitbar klaren Sieg der Christsozialen über diese linkslinke Ökochaotendrecksbande, dann kann er gleich im Bierzelt ausprobieren, wie sich das anfühlt, wenn man den Boden sauber leckt. Er soll schön über die Grünen herziehen, Hass und Hetze verbreiten, die Öffentlichkeit mit plumpen Lügen gegen sich auf die Barrikaden bringen, und wenn er wieder zurück in Berlin ist, wird ihm seine eigene Partei dafür die Fresse polieren.

Allerdings sollten Sie in dem Fall auch nicht vergessen, seine Äußerungen politisch einzuordnen und als Ministerpräsident noch einmal auf seine ungeschickten Profilierungsversuche hinweisen, die Sie als Ministerpräsident gar nicht nötig haben, weil Sie eben kein Kanzlerkandidat werden wollen, was letztlich dafür spräche, Sie als Kanzlerkandidaten der Union aufzustellen, wenn ganz überraschend die CSU nicht stärkste Kraft im Freistaat werden sollte. Da können Sie dann auch ganz souverän sein und der Union empfehlen, lieber den Vorletzten in dieser Auseinandersetzung zum Kanzlerkandidaten zu machen als einen, der in dieser Wahl schon vor der Entscheidung nicht angetreten ist. Das wird der Herr Merz dann sicher auch verstehen. Falls es ihm einer erklärt.

Wir hätten das jetzt, Herr Ministerpräsident. Ich setze die Pressemitteilung auf, und dann können wir den Auftritt machen mit dem Herrn Merz.“


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2 responses

10 01 2023
Lo

Bitte, nur keinen Streit vermeiden!

10 01 2023
bee

Gesprächspartner, die wenig zwischen den Ohren haben, um inneren Widersprüchen zu begegnen, sind meist schnell von ihrer Auffassungsgabe überzeugt. Man darf nur nicht abwarten, bis sie hören, was sie sagen

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