„Sie müssen mir die Zahlen nicht erklären, ich habe auch Augen im Kopf. Uns geht’s richtig beschissen, und wie beschissen es in Zukunft, will ich gar nicht wissen. Die Wirtschaft kollabiert in Zeitlupe, alles schrumpft, und wir wissen immer noch nicht wem, wem wir die Schuld in die Schuhe schieben sollen.
Natürlich wissen wir, dass wir uns das selbst eingebrockt haben, aber das will niemand hören. Irgendein Wahlkampf steht uns immer bevor, die Bundesregierung können wir nicht verantwortlich machen, obwohl das so schön einfach wäre, und nun müssen wir uns eine Erklärung aus den Fingern saugen. Wenn wir wenigstens so eine Aktion wie den Brexit gemacht hätten, dann wäre das jetzt eine einfache Nummer, und mit etwas Glück könnte man die Leute dazu motivieren, weiter fröhlich in die Rezession reinzulaufen. Aber wir haben einfach nur das gemacht, was wir immer machen. Gar nichts.
Wir haben die Energiewende sauber verrissen, das lässt sich nicht verleugnen, genauer gesagt: wir haben zugesehen, wie diese korrupte Fettsau von einem Wirtschaftsminister sich daran bereichert hat, die deutsche Solarindustrie zu vernichten, damit ein paar Millionäre noch höhere Boni einstreichen. Die Energiepreise gehen durch die Decke, blöderweise hat das nichts mit dem Krieg zu tun, weil wir mehr Strom produzieren, als wir verbrauchen können, eigentlich müssten wir es uns einfach machen: der Russe ist schuld, weil die meisten Wähler meinen, alle Energiepreise müssten irgendwie aneinander gekoppelt sein, notfalls ist es der Chinese, der uns zwingt, diese teuren Solarpaneele zu kaufen, weil die Bundesregierung sogar dann Atomkraftwerke abschalten lässt, wenn die Betreiber sie gar nicht weiter laufen lassen wollen. Sie merken schon, es ist verzwickt. Normalweise würde man spätestens hier irgendwie linke Chaoten zur Hauptursache des Übels erklären, weil ständig Lösungen haben, statt zu erklären, wie schlimm alles ist. Aber irgendwie verfängt das nicht.
Sie denken ja wieder viel zu kompliziert. Wenn wir zum Beispiel den Fachkräftemangel betrachten, sehen wir, dass wir schon zu wenig Auszubildende in den Betrieben haben, was auch daran liegt, dass wir zu wenig Jugendliche mit Schulabschluss haben und zu wenig Jugendliche, deren Schulabschluss in den Betrieben noch als gut bewertet wird, weil in den Schulen keine vernünftige Bildung vermittelt wird, weil wir zu wenig Lehrer haben und das Geld kostet. Bis Sie das im Wahlkampf erzählt haben, ist den Leuten das Gesicht eingeschlafen. Sie müssen das nicht erklären, Sie müssen einen Schuldigen für die Sache ausmachen, am besten einen, der sich nicht wehren kann, also sagen Sie, dass diese faulen Arbeitslosen schuld sind, weil die sich absichtlich in den letzten zwanzig Jahren nicht vom Maurer zum Chirurgen haben weiterbilden lassen, damit sie sich jetzt vom Bürgergeld Kaviar und Champagner kaufen können. Klar ist das von vorne bis hinten gelogen, aber eben nicht viel zu kompliziert.
Man könnte auch den einfacheren Weg gehen und das tun, was unsere politischen Freunde in so einer Lage immer tun. Den Ausländern die Schuld geben, Asyl als Grundrechtsmissbrauch bezeichnen und schnellere Abschiebungen fordern. Dann haben wir immer noch keine Fachkräfte, und die, die wir zur Einwanderung motivieren wollen würden, die würden gar nicht mehr wollen. Das ist rhetorisch natürlich ein Balanceakt, wenn man egoistische Ausländer beschimpft, die aus rein wirtschaftlichen Gründen gar nicht mehr nach Deutschland kommen wollen, dass die damit vorsätzlich den Abschwung herbeiführen wollen. Man müsste mal probieren, ob da eine Drohung helfen würde, dass wir die gar nicht mehr reinlassen, wenn die Wirtschaft sich wieder erholt haben wird. Der Deutsche hat ja gerne Angst, vor allem und jedem, aber ob das bei den Ausländern auch wirkt?
Ich sage doch, Sie haben das nicht verstanden. Sicherlich gibt es wissenschaftliche Studien, die den Rückgang der Wirtschaft als unerlässliche Voraussetzung ansehen, wenn wir das System auf einer ökologisch-sozialen Basis reformieren wollen. Wachstum von weniger als einem Prozent pro Jahr als vernünftig zu betrachten und am Ende auch noch positive Effekte daraus zu ziehen, das wäre ja Framing, und das geht gar nicht. Sie können das den Leuten schon erzählen, und wenn Sie Glück haben, verstehen sie es auch und finden das sogar noch gut. Aber die meisten würden doch denken, wir machen jetzt einfach gar nichts mehr, also so wie immer schon, und dann wird alles gut, aber es wird eben nicht gut, wenn es irgendjemanden gibt, der daran schuld ist, dass es eben nicht gut wird. Haben Sie das jetzt verstanden? Sie denken eben nicht kompliziert genug.
Es ist ja so, dass wir innovative Technologien halt komplett verpennt haben. Und weil wir jetzt eine ganz neue, freiheitsorientierte Politik haben, die auf Potenziale setzt und nicht auf Verbote, deshalb machen wir jetzt das, was wir immer schon gemacht haben, nur eben so, wie wir das noch nie getan haben. Früher haben wie wir die innovativen Technologien nicht gefördert und stattdessen nichts getan, jetzt tun wir überhaupt nichts mehr und sind total davon überzeugt, dass irgendwann innovative Technologien erfunden werden, und dann werden wir gar nichts mehr tun müssen. Das ist eine sehr gute Perspektive, denn dann werden wir gar nichts mehr tun müssen. Wie das diese faulen Arbeitslosen mit ihrem Bürgergeld jetzt schon tun. Und das ist dann gut, weil es so schlimm ist, und irgendjemand wird daran schon schuld sein. Das kapieren dann auch die Wähler. So kompliziert ist das ja nicht.“
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