
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Das Herrschergeschlecht der Pumploiden kennt man in der Historie als Bezwinger des rotkarierten Schuppentiers, welches sich noch heute auf Wappen und Banknoten des Fürstentums erblicken lässt. In grauer Vorzeit hatte das Ungeheuer eine Jungfrau als Nachspeise verlangt, worauf sie vom legendären Gründer der Dynastie unter Zuhilfenahme eines Bratspießes in Biomasse überführt wurde. Hochzeit und Happy End, und bis heute nennen sich die Einwohner des strukturell benachteiligten Fleckens an den Ufern der Schlotter die Drachentöter. Nichts davon ist gerechtfertigt, Bruttoinlandsprodukt und Kriminalstatistik zeigen eine genetische Sackgasse. Doch die Folklore siegt, und das Narrativ bestimmt das Selbstverständnis der Menschen. Warum nur?
Weil es in einer zunehmend sinnfreien Welt den Sinn stiftet, der als Perspektive auf trübe Zukunft die emotional aufgeladene Vergangenheit zu einem Transportmittel macht für die Werte, die Identität versprechen. Manches davon ist pure Erfindung, wesentliche Narrative aber die Überhöhung der an sich banalen Wahrheit, die sich selbst in goldenem Licht spiegelt. Wir haben uns im Krieg gegenseitig platt gebombt? Das Wirtschaftswunder! Eine Rotte Soziopathen, deren religiöse Wahnvorstellungen als nicht mehr tragbar galten, hat eine Kolonie auf der Basis von Genozid und Versklavung gegründet? The Land of the Free! Die Konstruktion des Realen aus selbstgerechtem Gerümpel ist zwangsläufig subjektiv und bleibt es auch, wenn alle Variablen sich ändern. Was passiert, wenn sich die etablierte Klasse aus den Versatzstücken ihrer Mythologie ein Sortiment aus Legenden zurechtschwiemelt, sieht man an den Verzerrungen des Kapitalismus. Noch nie ist ein Tellerwäscher zum Millionär geworden, selten hat sich Leistung gelohnt, zumindest nicht für den, der sie erbringt. Werbung, Wahlkampf und Weihnachtsansprachen, allerlei Propagandaschwulst in wechselnden Gewändern, treten den Quark breit, in dem unsere geistigen Fundamente feststecken. Was von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sowie der FDGO bleibt, wenn der Vorhang gefallen ist und die Protagonisten sich abschminken, hat mit der Idee wenig zu tun. Dass wir uns in einem der reichsten Länder der Welt (Bierzeltversion) nicht leisten können, Kindern ausreichend Geld für eine gesunde Ernährung zur Verfügung zu stellen (Realpolitik), fällt öfter als gelegentlich auf.
Je gemütlicher es sich eine Gesellschaft als Erzähler des eigenen Lebens macht, desto weniger ist sie noch Autorin der eigenen Realität. Sie lässt sich, geübt darin, nicht aus dem Bild auszubrechen, in der Geschichte treiben, anstatt Geschichte zu schreiben. Nicht nur der Fatalismus der Fiktion, die nach bewährten Mustern immer gleich abschnurrt, ist ein massives Hindernis, unsere Geschicke in die eigene Hand zu nehmen, auch der Irrglaube vom guten Ausgang des Märchens hält uns davon ab, in der Wirklichkeit anzukommen. Alle leben wir noch heute und sind infolgedessen glücklich. Bis auf die, die daran gestorben sind. Und so klammern wir uns an die Vergangenheit, aus der scheinbar folgerichtig alles wächst, was uns Bedeutung gibt, wenngleich wir die Auswahl haben, was wir wann anwenden. Entweder sind wir als Deutsche oder Europäer die aufgeklärteste Kultur der Welt, stark und innovativ, oder wir werden als christliches Abendland von den minderwertigen Völkern, die ungerechterweise viel kräftiger sind, unterdrückt und ausgerottet. Da die islamische Welt, China, der ehemalige Ostblock mit dem Platzen der Weltwirtschaftsblase jeweils ihre eigene Story entgegenhalten konnten, wankt auch die Hegemonie des westlichen Machtzentrums um eine kaum noch vorhandene Mitte. Öfter und mehr begegnen einem bigotte Bizarrerien, in denen die populistischen Dummschwätzer uns weismachen, die Werte der Aufklärung, eben Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nebst Gewaltenteilung, wären nicht gegen das christliche Abendland erkämpft worden, sondern dessen Folge. Kaum zu glauben, dass es geglaubt wird, weil es absurd ist.
Man sollte nicht aus den Augen verlieren, dass auch Verschwörungserzählungen Narrative sind, die an der Zielgruppe der Knalldeppen ausgerichtet die Wahrheit in eine unerwünschte Richtung verdrehen. Unter Ausnutzen der Logik werden Widersprüche einfach eliminiert, bis niemand mehr rafft, dass das Fiktionale der entscheidende Faktor von Fiktion ist. Die Geschichten wurden einst ersonnen, um in der gefahrvollen Welt der Zukunft einen Kompass zu haben, der heute aber immer seltener metaphorisch verstanden, sondern für bare Münze genommen wird. Was nicht plausibel erscheint, wird mit den Werkzeugen der Erzähltechnik zurechtgedengelt, bis es in den windschiefen Rahmen des modernen Weltbildes passt. Hier lohnt kein Ausbruch, wir laufen auf einem Möbiusband aus alternativen Fakten der Wirklichkeit hinterher, die keine andere Seite der Medaille kennt.
Eine Ermächtigung für Ohnmächtige in Form von Aberglauben ist der wirksamste Weg, jede Art von Selbstreflexion des Individuums auszuschalten. Wo der Hokuspokus symbolische Qualitäten erhält, sind wir für die kritische Vernunft schon so gut wie verloren. Leugnen ist zwecklos. Keiner glaubt uns.
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